28. Tag: Freitgag, der 13. Mai 2011

In Russland-Harmonie in Grau

40 Kilometer von Räpina nach Pecory, über die russische Grenze bei Wolken und Sonne bis 20 Grad, 100 hm, Deja-Vu mit alten Zeiten in der Kleinstadt und Klosterbesichtigung

Die letzten Kilometer in Estland und die letzten Kilometer in der Europäischen Union, auch wenn Estland vom Empfinden her nicht mehr so viel mit Mitteleuropa zu tun hat. Die Weite und Grüne der Landschaft, die wenigen Leute, die man auf der Straße trifft, rundherum nur Wälder und Wiesen und ein paar wenige Gehöfte. Von den alten Gehöften ist oft schon ein altes Gebäude am Einstürzen. Daneben stehen dann aber schon die neuen Häuser. Im Gegensatz zu Litauen bleibt dann aber die alte zusammenbrechende Scheune so wie sie ist und wird nicht renoviert. Aber wer eben jahrelang in der Holzkate gewohnt hat und nun in einen komfortablen Neubau gleich daneben umziehen kann, der tut dies natürlich auch.

Vor der Grenze stauen sich die LKW über vielleicht einen Kilometer. Und heute ist Freitag der 13.! Die russische Grenze ist der Knackpunkt der Reise, wir müssen hier heute mit unseren Businessvisa auf die andere Seite oder wieder nach Hause umkehren.

Aber es geht alles mehr als glatt. Wir schlängeln uns an dem LKW-Stau vorbei, zeigen am ersten Posten die Pässe und bekommen unsere Einreisepapiere, die wir am zweiten Posten wieder abgeben und mit dem gewünschten Stempel im Pass zurückbekommen. Posten Nummer drei ist der Zoll, die Dame wirft in einige der Taschen einen mehr oder weniger lustlosen Blick und fragt nach Waffen. „Nur Atomwaffen!“ antworte ich grinsend und bekomme ein ebensolches zurück und wir sind auf der anderen Seite. Dort wartet auch schon unser neuer Fahrer und wir holpern auf der löcherigen Straße noch die 3 Kilometer bis in die Stadt Pecory.

Dies ist ein kleines Nest und es scheint sich in den letzten 19 Jahren, die ich nicht mehr im Lande war, auch nicht viel geändert zu haben. Die mit nagelneuen Mercedes Benz beladenen Trucks rollen wohl durch bis Moskau, hier bestimmen rostlaubige Lada immer noch das Straßenbild. Inmitten von grauen Wohnblocks befindet sich ein grauer betonierte Platz, das Zentrum der kleinen Stadt und hier steht auch das einzige Hotel. Die Zimmer sind eher rustikal und einfach und die „Deschurnaja“ hinter dem Tresen, eine kräftige Russin mit lauter Stimme und Bewegungsarmut braucht ein halbe Stunde zur Verteilung der vier Zimmer. Dieses Zimmer oder jenes Zimmer oder doch in der dritten Etage. Es hat sich wirklich nicht viel geändert, denke ich so vor mich hin. Aber die Räume sind sauber und es gibt heißes Wasser und warum sollte ich auch einen Blick unters Bett werfen wollen.

Auf den kleinen Straßen bestimmen die Alkoholiker das Bild und ältere Frauen mit Kopftuch. Wir machen eine Runde durchs „Zentrum“, dessen Bild durch zahlreiche kleine Schnapsläden bestimmt wird und finden dann eine Bank. Auch hier wieder gutes Ost-feeling, ungefähr 25 Leute in der Warteschleife. Trotzdem dauert es nur 20 Minuten, bis wir unsere Euro umgerubelt haben. 39,1 Rubel gibt es für einen Euro und nun müssen wir nur noch herausbekommen, wie die Preisverhältnisse sind.

Das Angebot in den Läden ist in Ordnung, neben den vielen Alkoholika auch reichlich Käse, Wurst und Butter und alles andere, vom Preisniveau alles ein paar Prozent unter unseren deutschen Preisen, aber nicht sehr viel billiger.

In der Stadt soll es ein bekanntes Kloster geben und tatsächlich tauchen hinter den grauen Wohnblocks die blau-goldenen Kuppeln einer russisch-othodoxen Kirche auf. Hinter einer hohen steinernen Mauern liegt dann auch eine große und prachtvolle Klosteranlage. Für Frauen ist selbst Eintritt in langen Hosen nicht erlaubt, aber es gibt eine Ausleihstation für Wickelröcke, auf Kopftücher wurde nicht unbedingt bestanden.

Mit einer großen Pilgertruppe vom Schwarzen Meer sind wir die einzigen Gäste und warten auf einen geführten Rundgang. Dann kommt ein dicker Pope in schwarzer Robe, mit langem Bart und Ledergürtel und lässt nur die angemeldete Gruppe ins Gewölbe. Heute sei kein offizieller Besichtigungstag und morgen auch nicht und außerdem erzählt er noch was von den Kartoffeln, die in die erde müssen. Doch nun erscheint ein zweiter Mönch, das genaue Gegenteil von dem anderen, dürr und hager von gestalt, ebenfalls Rauschebart und mit Zahnlücke und Goldzähnen. Der ruft: „Kommt ihr aus Deutschland? Na dann kommt mit!“ und wir drängeln uns am dicken Bauch des ersten Mönchs vorbei ins Innere.

Unter dem Kloster liegt ein riesiges Felsengewölbe mit langen dunklen Gängen, Hier liegen die Patriarchen, also die Klosterchefs aus der Region der letzten 600 Jahre in schmalen Nieschen im Fels begraben. Licht gibt es nicht im Gewölbe, deshalb hat jeder am Eingang eine kleine Kerze bekommen. Die Kühle im Gewölbe und die dunklen, nur von dünnen Kerzen bestrahlten Gesichter verbreiten eine eigenartige Stimmung, ein bisschen wie in einem Horrorfilm und der dürre Priester mit Goldzahn und Zahnlücke passt hier auch noch genau rein. Viel zu sehen ist nicht im Dunkel, an den Gewölbewänden befinden sich mehr als 9oo relativ schmucklose grabplatten und an den Enden einzelner Gänge immer eine Arte kleine Kapelle. Draußen ist es dann wieder wunderbar warm und die Führung geht weiter durch den Klostergarten mit unzähligen Johannisbeer- und Stachelbeersträuchern, dass Frühstück für die heiligen Brüder dürfte also nicht schlecht aussehen. Vom Garten hat man auch noch einmal ein gute Aussicht über die ganze Anlage mit dem drei oder vier Basilika mit bunten Zwiebeltürmchen, die Mauer, die die Anlage umrundet und den Hof mit den farbigen Häusern.

Zurück in der Stadt suchen wir uns ein Lokal und versuchen uns an der russischen Speisekarte, mit etwas Mühe bekommen wir einen Großteil der Salate und Gerichte übersetzt. Die erste Soljanka auf russischem Boden ist dann auch gleich die schlechteste bisher, oben wabbert eine dicke Fettschicht und es wurde vorwiegend knorpeliges Fleisch und fettester Speck verarbeitet. Die anderen Salate und kleinen Gerichte waren besser. Zum Nachspülen und auf den gelungenen Grenzübertritt spendiere ich am Abend noch eine kleine Flasche Wodka und dann fällt auch das Schlafen leichter.

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