Archiv: 2008 Athen-Peking

Sonntag, 10. August 2008, Beijing, 4.Tag: „Abflug und Schluss“

Mittwoch, den 13. August 2008

Heute ist der letzte Tag, an dem ich zeitig aufstehen muss, was nach der kurzen Nacht natürlich sehr schwer fällt. Noch im Halbschlaf springe ich in meine Sachen und fahre dann schnell mit dem Rad zum anderen Hotel, wo meine Teilnehmer schon auf den Transferbus zum Airport warten, der dann auch gleich kommt.

Alles klappt ohne Probleme, der Bus ist pünktlich und das Gepäck passt ohne Probleme in den Bus. Dann liegen wir uns noch einmal in den Armen und der Bus schlängelt sich aus dem Hutong heraus und verschwindet um die nächste Ecke und damit ist mein Reiseleiterteil der Reise abgeschlossen.

Komisches Gefühl, ich stehe hier auf der Straße und bin nur noch für mich alleine verantwortlich und weiß nicht genau, ob ich mich freuen oder ein wenig traurig sein soll. Ich beschließe die Antwort auf die Frage zu verschieben und mache mich auf zum üppigen Frühstücksbuffet im Hotel.

Kafee, Spiegelei, Würstchen, Obst und Kuchen sind dann ein guter Start für den Tag. Zurück im Zimmer schlafe ich noch ein Stündchen und mache mich ans packen. Die Fahrradkiste zusortieren macht viel Arbeit, aber danach sieht die Kiste gut aus und die verbliebenen Räder können noch eine gute Weile weiter gepflegt werden. Bei meinem Gepäck sehe ich noch kein Land und frage mich, wie ich all die Sachen wieder nach Hause bekomme.

Mit dem Taxi geht es dann ins neue Hotel, wo ich etwas über 200 Yuan pro Nacht, also 20 € bezahle. Der drei Sterne Kasten der letzten tage kostet während der Olympiade mehr als das fünfzehnfache und ist nicht einmal zur Hälfte gebucht.

Die meisten Hotels hier hatten auf das Geschäft des Jahrhunderts gehofft und haben die Preise um das fünf bis zehnfache gesteigert und gehen nun alle kräftig baden. Auch ich hatte gedacht, dass es unmöglich sei, noch Zimmer zu bekommen, aber letztlich war es dann überhaupt kein Problem und das obwohl ich noch nie so viele in- und ausländische Touristen in Beijing gesehen habe.

Direkt an einer Touristenmeile mit vielen kleinen Läden und Restaurants wohne ich jetzt und im fünften Stock nach hinten ist es auch angenehm ruhig. Viel Zeit dafür bleibt mir nicht, denn nun muss ich noch einmal zurück zum alten Hotel und dann mit den Reserveteilen und Mänteln zum Radladen, der am anderen ende der Stadt liegt. Im Taxi geht es langsam vorwärts und es fängt an zu regnen. Lange habe ich es nicht mehr so schütten sehen, schon nach zehn Minuten steht das Wasser auf den Straßen ziemlich hoch und Taxis sind nun nicht mehr zu bekommen.

Im Laden wird alles verstaut und pitschnass steige ich wieder ins Taxi und lasse mich zurück bringen. Um 19 Uhr bin ich mit einem alten Freund verabredet und wir essen in einem netten Beijing Restaurant und wärmen alte Zeiten wieder auf, als wir noch gemeinsam an der Beijing-Universität studiert haben.

Abends im Zimmer realisiere ich dann, das es eigentlich der letzte Tag der Tour war. Athen liegt so unglaublich weit weg, wie im Februar an das Ziel Peking noch zu denken war. Damals hatten wir die ersten Vorfrühlingstage im Jahr, jetzt geht es jeden Tag über die dreißig Grad. Damals waren 100 Kilometer auf dem Rad eine unglaubliche Strapaze, zum Schluss zählten wir das zu den „kurzen“ Tagen. Damals haben wir über jeden Hügel gestöhnt und heute sind wir immer noch froh wenig Höhenmeter zu fahren, aber ein 400 Meter Pass schreckt uns nicht mehr. Eigentlich hätte es noch weiter gehen können, aber das Ziel ist erreicht, aber wie es in der Natur des Menschen liegt, habe ich mir schon neue Ziele gesteckt und so wird es wohl in vier Jahren dann von China aus dann nach London, zum Ort der nächsten Sommerspiele gehen und darauf freue ich mich schon und vor allem darauf, einiges noch besser organisier zu können und in diesem Sinne verabschiede ich mich hier von diesem Athen-Beijing Blog und bedanke mich bei den vielen vielen Lesern, die uns über die Monate die Treue gehalten haben. Allein im tomtomtofu-blog gab es im letzten Monat 2500 Zugriffe auf die Seite und im forumandersreisen blog könnten es mindestens noch einmal so viele gewesen sein. Danke an alle und bleibt treue Leser oder werdet aktive Mitfahrer bei weiteren Touren. Für Kommentare, Fragen und Anregungen stehe ich weiterhin zur Verfügung und es wird noch einen Nachtrag von den meisten unserer Reiseteilnehmer geben.

Also dann noch einmal vielen Dank fürs Lesen und schreibt mir (tomtomtofu@gmx.de) eine Mail falls euch folgende Projekte interessieren:

2009: Fahrradtour von Beijing nach Hongkong (April/Mai/Juni)

Seidenstraße in China Juli/August)

2010: Fahrradtour von Berlin nach Kapstadt zur Fußball WM (Januar bis Juli/August),

die wohl eher nicht klappen wird.

2011: Transsibirien mit dem Rad: Berlin-Moskau-Baikalsee-Wladivostok-Korea-Beijing

2012: Von Hongkong nach London über Tibet, Indien und den Iran (Januar bis August)

Tschüss und stramme Waden wünscht euer tomtomtofu: Thomas Krech

Samstag, 9. August 2008, Beijing der dritte Tag: „Kaufhaus des tausendfachen Glücks“

Mittwoch, den 13. August 2008

Eigentlich sollten wir mehr Zeit für die Stadt und die Spiele haben, vor allem nach der Wärme und Begeisterung, die wir gestern gespürt haben, aber morgen geht halt für die meisten der Flieger nach hause und so gibt es noch viel vorzubereiten. Nach dem imposanten Frühstücksbuffet geht es daher erst einmal in den Radladen, wo die Räder dann auch bleiben und zum Transport verpackt werden.

Danach geht es zum „Kaufhaus des tausendfachen Glücks“, wie ich den Hongqiao Markt am Himmelstempel nenne, denn hier gibt es wirklich ALLES zu kaufen was man braucht oder nicht. Unten ist die Abteilung mit den gefälschten Uhren und Sonnenbrillen, chinesischer Elektronik, i-Pods zum halben Preis und Pseudo Markenunterwäsche und Kitsch.

Im ersten Stock gibt es dann Klamotten in allen Varianten, Outdoor Sachen, Seidenkleider, Jeans aller Marken, Koffer und Taschen. Bei einer Gucci Tasche bleibe ich hängen, die hat genau die richtige Größe für mein Fahrradwerkzeug und so nehme ich die Tasche für 8 € mit und bin dann wohl der einzige Reiseleiter mit einer Gucci-Werkzeugtasche, frage mich aber, ob der Namensgeber mit einer solchen Verwendung glücklich wäre.

Im dritten Stock strahlen die Augen unserer Damen, Perlen und Schmuck gibt es hier in allen Variationen und weiter hinten gibt es antiken und pseudoantiken Kram.

Ich pilgere noch einmal durch die Etagen und besorge mir zwei neue Sonnenbrillen, denn auf dieser Tour habe ich ja sieben Brillen verloren oder demoliert und so bin ich froh, dass ich für die Kopien hier nur 4 € bezahle und nicht 120 €. Weiterhin finde ich einen schönen Windstopper und eine Sommerhose für den Thailand-Urlaub, den ich mir redlich verdient habe.

Im zweiten Kaufhaus gibt es Spielsachen und Schreibwaren, aber das hebe ich mir für später auf, da muss ich bei meine Profis noch einmal nachfragen, was gewünscht wird. Wieder einmal werde ich daran erinnert, dass ich zu hause sehnsüchtig erwartet werde und ich freue mich darauf, mit meinem Sohn Badminton zu spielen, meiner Tochter die Fingernägel zu lackieren und mit Peter im Sandkasten zu buddeln.

Für den Himmelstempel bleibt dann keine Zeit mehr, sondern ur noch für die dusche im Hotel, dann geht es schon wieder zum Abendessen. Auf dem Heimweg stoppe ich noch in einigen Lokalen und entscheide mich dann für ein Alt-Beijing-Restaurant, wo ich drei Tische bestelle.

Halb acht rücken wir dann alle pünktlich im Restaurant ein und es wird ein großartiges Essen. Entenleber, Weißkohl in Senfsoße, Shrimps mit chinesischem Schnittlauch, Lammfleisch in Kreuzkümmel sind einige der Highlights und dann wird es Zeit noch ein paar Worte zum Abschuss zu sagen.

Im Februar sind wir alle in Athen gestartet und wir sind vor drei tagen in der gleichen Besetzung hier in Beijing eingerollt. Knapp 14.000 Kilometer und mehr als 100.000 Höhenmeter liegen hinter uns. Zwischen 2 und 12 Kilo Gewicht haben unsere Teilnehmer verloren und im Schnitt hatte jeder fünf oder sechs Plattfüße, unserem Plattfußkönig ging 11 Mal die Luft aus dem Reifen und auf der anderen Seite steht Marlies mit nur einem einzigen Platten. Größere Defekte an den Rädern gab es nicht, wir haben einmal Kette und Block gewechselt und es gab einige Stürze. Uli war deshalb einen Monat nicht bei uns und Rene eine Woche auf dem Bus. Zum Schluss haben fast alle jeden Tag Helm getragen, sogar ich und das, obwohl es heiß war.

Wir hatten viele harte Tage und grandiose Landschaften, Begegnungen mit freundlichen Menschern aller Länder, die wir durchfahren haben und es gibt kein Erlebnis, das so schrecklich war, als dass man die Reise nicht noch einmal machen würde. Mit Bestürzung lesen wir in den letzten Tagen im Internet über den Krieg Georgien gegen Südossetien und das Luftangriffe auf Tiblissi bevorstehen, auf die Stadt, die uns so beeindruckt hat.

Länder und Regionen haben wir erlebt, die andere auf der Landkarte nicht einmal zeigen können und wir werden wohl für den Rest des Lebens mit diesen Regionen verbunden bleiben, auch wenn später nur Katastrophennachrichten es bis in die deutschen Medien schaffen werden.

Wir haben uns gestritten und vertragen, wir haben miteinander geschimpft und uns geärgert, aber auf dem Platz des himmlischen Friedens sind wir uns in die Arme gefallen. Für alle war die reise ein Erlebnis, von dem man noch viel Jahre zehren wird und das noch eine Weile brauchen wird, bis man überhaupt alles nur halbwegs verarbeitet hat.

Jeder von uns hat viel gelernt, über Länder und Traditionen, über Geschichte und Religion, aber auch an sozialen Qualitäten gewonnen, wer hätte von Anfang an gedacht, welche Probleme das tägliche Beisammensein mit sich bringen würde.

Heute nun unsere letzten Biere zusammen und sie Stimmung schwankt zwischen euphorisch und traurig und so geht es auch mir. Auf der einen Seite habe ich nicht das Gefühl, dass diese Reise jemals hätte zu Ende sein können, auf der anderen Seite fühle ich eine unendliche Müdigkeit und freue mich auf meinen Thailandurlaub, in dem ich absolut nichts machen werde, oder doch vielleicht schon wieder die nächste Reise planen.

Gegen 23 Uhr kehrt uns dann die Besatzung des Restaurants hinaus und wir verabschieden uns noch einmal mit vielen Umarmungen vor dem Hotel, denn ab morgen gehen wir wieder getrennte Wege. Ein Teil der Gruppe fliegt nach Hause, ein paar Leute bleiben noch in Beijing und andere fahren mit der Transsibirischen Eisenbahn zurück.

 

 

 

Freitag, 8. August 2008, zweiter Tag in Beijing: „Brot und Spiele“

Mittwoch, den 13. August 2008

Heute ist für die Chinesen der Tag der Tage. Die Ziffer „8“ ist an sich schon glücksverheißend und im heutigen Datum ist sie dann gleich drei Mal zu finden. Und aus genau diesem Grunde wird heute die Olympiade eröffnet und es ist natürlich nicht schwer zu erraten, zu welcher Uhrzeit das olympische Feuer hier entzündet werden wird.

Ich habe mir inzwischen auch schon ein wenig diesen 8er Tick zugelegt und übernachte gern in Zimmern mit einer 8 und weniger gern mit einer 4, denn das klingt ein wenig wie „sterben“ auf chinesisch und aus diesem Grunde fehlt in manchen Hotels sogar die vierte Etage und der achte Stock ist dann dagegen mit teureren Zimmern bestückt.

Vorher ist jedoch noch jede Menge Zeit und wir beschließen einen langen Bummel durch die Einkaufstraßen der Stadt zu machen und da bietet sich immer die Wangfujin Straße an. Hier gab es vor 15 Jahren den ersten McDonalds in Beijing und im ganzen Lande und die Eröffnung der Filiale mit kilometerlanger Schlange war ein Zeichen für die Umbruchstimmung die das Land Anfang der 90er Jahre erfasst hatte. Der erste McDonalds musste heute schon wieder einem modernen Shoppingcenter weichen und hat eine größere Filiale dahinter eröffnet. Inzwischen scheint mir Beijing die heimliche Hauptstadt des amerikanischen Boulettenimperiums, denn in Beijing gibt es mehr als 200 Filialen.

Heute ist die Wangfujin eine Fußgängerzone und alles ist auf die Spiele orientiert, überall prangen große Poster und Plakate, Viedeoleinwände und Getränkestände bereiten sich auf den großen Ansturm der nächsten Tage vor.

Dahinter in kleinen Läden sieht es noch aus wie bei Harry Potter, ein ganzer Laden voller Essstäbchen in allen Variationen, Farben und Materialien und auch bei den Preisen gibt es nach oben keine Grenzen. Daneben dann Teeläden, leider nicht mehr kleine Stübchen, sondern eher moderne Kaufhäuser, in denen man keine Möglichkeit hat, das Gebräu vorher einmal zu probieren, wie wir es in Zhangye getan haben. Und so ist nur für den Profi zu erkennen, dass die Auswahl der Teesorten gar nicht so übel ist.

Auf der Straße tobt jetzt ganz besonders das Leben, Touristen aus allen Ländern und noch fünf Mal so viele chinesische Touristen sind unterwegs. Straßenhändler verkaufen Chinafähnchen und Aufkleber mit chinesischen Flaggen, „Vorwärts China“ und „I love China“ T-Shirts werden allerorts von jedem getragen. Alle sind glücklich, dass die Spiele hier stattfinden und dass sie dabei sein dürfen und die Chinesen lassen uns spüren wie stolz sie auf dieses olympische Spektakel sind.

Auf einer Welle der Begeisterung sind wir seit der kasachischen Grenze hier ins Land geritten und der olympische Gedanke war überall zu spüren und die Freude mit der wir allerorts aufgenommen wurden, die Begeisterung als die Leute hörten, dass wir aus Europa den ganzen Weg per Fahrrad gekommen sind, um hier an der Olympiade teilzuhaben.

Unser Einkaufsbummel wird somit zur Vorfeier des heutigen Abends, nur ab und zu verschwinden wir in einem kühlen Laden, um uns ein wenig umzusehen und die längste Zeit verbringe ich natürlich wieder im Buchladen, natürlich nicht ohne einige Käufe gemacht zu haben.

Mit den Rädern geht es dann wieder ins Hotel und dort bleibt gerade einmal Zeit für eine Dusche und dann geht es schon wieder weiter. Die ganze Gruppe zieht los und wir wollen zu einer der großen Leinwände auf der Wangfujin zurück, müssen aber durch das ganze Zentrum laufen. In Erwartung eines großartigen Abends sind Millionen von Menschen auf der Straße und es geht nur langsamen Schrittes vorwärts.

Auf dem Tiananmen Platz werden es noch mehr Menschen, die hier auf das Feuerwerk warten wollen und als wir an der Uhr hier vorbeikommen, die die Zeit rückwärts bis zur Eröffnung zählt, ist nur noch etwas mehr als eine Stunde verblieben. Das erste Mal stand ich vor dieser Uhr, als diese noch mehr als zwei Jahre zu zeigen hatte und nun ist im Handumdrehen alles vorbei.

Heute morgen im Internet zeigten die deutschern Medien hauptsächlich Interesse an zwei kleinen Ereignissen, Zwei Engländer haben eine Free-Tibet Flagge gehisst und ein Amerikaner hat Zettel für die Menschenrechte verteilt. Nur das hat unsere Medien interessiert. Von der tollen Stimmung und der Begeisterung aller Chinesen für diese Spiele war keine Rede. Von der perfekten Vorbereitung und Organisation, das ganze Land und besonders Beijing ist bis zum letzten Winkel geputzt worden. Die sonst mitunter ruppigen Polizisten verhalten sich korrekt und freundlich bis zum Umfallen. Sicherheit ist überall zu spüren, nicht aufdringlich, sondern höflich und zurückhaltend und eher bereit mitzufeiern, als für einzugreifen.

Kurz vor acht erreichen wir die Videoleinwände und natürlich kann man kaum noch treten, überall dichtgedrängt Menschen, geschminkt und mit Fähnchen und überall kleine chinesische Flaggen als Aufkleber, eine tolle Stimmung brandet durch die Straße, immer wieder wird „Zhong gua jia you! Vorwärts China!“ skandiert und ab und zu tauchen auch Flaggen anderer Länder auf.

Um acht schauen dann alle fasziniert auf das gigantische Spektakel im Stadion. Ein Heer von Trommlern läutet den Beginn der Spiele ein und die Masse wogt mit. Wohl Milliarden Menschen auf der Welt verfolgen dann die gigantische Tanz und Kulturshow, den elektronischen Lichterzauber und die Feuerwerke über der chinesischen Hauptstadt. Da ich eh keine tollen Platz habe sehe ich mit eher die andere Seite an und schaue den Leuten in die bewegten Gesichte und so manchem Chinesen stehen die Tränen in den Augen. Mehr als zweihundert Mannschaften sind angetreten und marschieren ins Stadion ein und selbst nach einer langen Stunde wird immer noch jede kleine Mannschaft und selbst wenn sie aus dem hinterletzten Zipfel dieser Welt stammt, immer noch mit großem Jubel begrüßt. Nur wir sind schon zu müde und gegen halb 12 rücken wir dann ab, eine Hälfte ins Hotel, die anderen noch in eine Kneipe.

Mitternacht ist es dann so weit und das große Feuerwerk startet auf dem Platz des himmlischen Friedens. Zehn Minuten lang wird aus allen rohren gefeuert und die Nacht verwandelt sich in ein feuriges Blütenmeer vor der Kulisse der historischen Bauten und obwohl ich eigentlich eine Abneigung gegen Massenveranstaltungen habe, freue ich mich doch heute diesen umwerfenden Tag hier erlebt zu haben.

Donnerstag, 7. August 2008, erster Tag in Beijing: „Auf den Spuren der gelben Kaiser“

Dienstag, den 12. August 2008

So vielfältig wie die Charaktere in unserer Gruppe sind, so vielfältig sind auch die Interessen. Einige von uns waren schon in Beijing, einige noch nicht und so versuchen wir mehrere Varianten anzubieten. Einige wollen in die verbotene Stadt, andere zum Sommerpalast und die letzten in den Lamatempel.

Ich breche mit meiner Gruppe nach dem frühstück auf in die Verbotene Stadt, die bis vor hundert Jahren nur dem Gelben Kaiser und seinem Gefolge zugänglich war. Eingebettet in die ideale Anlage einer chinesischen Stadt, das heißt rechteckige Stadtmauer, nach Norden ausgerichtet, liegt die Verbotene Stadt auf der Hauptachse. Durch 11 Tore musste man kommen, um bis zur Audienzhalle des Kaisers vorzudringen und das war damals genauso schwer, wie eine Audienz beim amerikanischen Präsidenten zu bekommen und ähnlich hoch waren die Sicherheitsstandards. Heute pilgern tausend von Touristen täglich durch die heiligen Hallen und werfen einen Blick auf die Audienzhallen und die Gemächer des Kaisers und seiner Konkubinen und auch auf das Bett in denen Hochzeit gehalten wurde, das heißt jenes Bett in das jede der 2000 Frauen des Kaisers zu hüpfen hoffte. Der zutritt dahin war mit schweren Steinen gepflastert, musste man sich doch die Gunst der Eunuchen erwerben, die für die Planung des Sexuallebens des Kaisers zuständig waren. Danach galt es dann natürlich einen Knaben zu gebären, der als möglicher Thronfolger eingesetzt werden konnte und für dieses Ziel wurde natürlich kein Mittel ausgelassen, Mord und Intrige inbegriffen.

Doch so weit sind wir noch gar nicht, auch wenn wir die Verbotene Stadt von der falsche Seite betreten, nämlich von Norden, denn dieser Eingang war einstmals nur für das Personal und die Frauen vorgesehen. Dafür ist es die schönere Seite des Palastes mit alten Bäumen, künstlichen Teichen und Steinformationen. Letzteres darf in keinem chinesischen Garten fehlen, denn das chinesische Wort für Landschaft, Shanshui, bedeutet Berge und Wasser, also bringt jeder chinesische Gartenbauingenieur beide Elemente mit hinein. Am beliebtesten sind Taihu Steine, aus dem Taihu-See bei Suzhou mit ihren charakteristischen Löchern, die ich allerdings persönlich ganz schrecklich finde, aber die Chinesen lieben es, damit berühmte Landschaften zu kopieren.

Nach den Gemächern der Konkubinen mit Ausstellungen von Uhren und Vasen aus der Qing Dynastie dringen wir nach Süden vor, zu den Gemächern des Kaisers und den Empfangshallen.

Prachtvolle hallen, vor denen jeweils ein riesiger Platz liegt machtem jedem Ankömmling klar, wie klein seine rolle und Bedeutung im Getriebe des konfuzianischen Staatsgebildes war und das der Kaiser die unumschränkte Herrschaft über das Land hatte. Aber auch die Stühle der Kaiser waren wackelig, wenn sie dem Druck ihrer Berufung nicht gewachsen waren oder sich den einflussreichen Schichten des chinesischen reiches entziehen wollten, dann wurden gründe und Anlässe gesucht, dem Kaiser das „Mandat des Himmels“ zu entziehen.

Vielen von uns sind die Massenszenen aus dem Film „Der letzte Kaiser“ noch gegenwärtig und auch heute tummeln sich tausende von Menschen auf dem Platz, aber natürlich nicht in Reih und Glied, sondern eine bunte Mischung aus Jungen und Alten, Reichen und Armen, Großen und Kleinen, Modischen und Mao-Anzugträgern, denn heute MUSS jeder Chinese einmal hier gewesen sein, ebenso wie auf der großen Mauer, denn das macht einen richtigen Chienesen, einen „Nanzihan“ aus.

In diesem Sinne zählen wir und die anderen wenigen Ausländer, die sich in der bunten chinesischen Menge verlieren schon zu den „besseren“ Chinesen, denn wir haben die Mauer schon an vielen Stellen gesehen.

Aus dem Kaiserpalast heraus radeln wir ins Deutsche Haus, das sich am dritten Ring befindet und werden dort empfangen und herumgeführt. Leider ist noch nicht alles fertig und wir bekommen einen kleinen Eindruck, welche Partys hier in den nächsten tagen und Wochen gefeiert werden, aber dafür fehlt uns dann trotz unserer wirklichen olympischen Begeisterung die Prominenz oder das nötige Kleingeld, denn eine Tageskarte kostet 400 € , allerdings kann man dafür kostenlos Essen und Trinken bis zum Umfallen. Hubert bezeichnet die Anlage kurz und bündig als eine gigantische Steuergeldverbrennungsmaschine, ich schließe mich mit der Bemerkung, dass die Sandwichs allerdings recht ordentlich waren, seiner Meinung an. Aber immerhin, wir sind empfangen worden und haben den Sportfunktionären zeigen können, dass es verschiedene olympische Konzepte gibt.

Danach trennen wir uns und die Gruppe hat Zeit zur freien Verfügung und zum Bummeln in den belebten Straßen rund ums Hotel. Ich fahre noch zur ARD und gebe ein nettes Radiointerview zur Tour.

Dann nehme ich noch die Einladung einer Dame aus der deutschen Politik an und wir verbringen den Abend in einem Lokal mit Pacific-Rim Food, also einer Mischung aus allen Essensideen, die es auf diesem Globus gibt und es ist wirklich lecker und in mir erwacht wieder die Idee, irgendwann mein kleines, aber feines Restaurant zu eröffnen, aber das muss noch soooooo lange warten, bis ich nicht mehr Rad fahren kann oder will.

Mittwoch, 6. August 2008, vom Tengwudujiacun nach Beijing, 65 Kilometer, 87 Höhenmeter: „Einfahrt ins Olympiaparadies“

Dienstag, den 12. August 2008

Nur noch 40 Kilometer trennen uns vom Ziel unserer Reise, nur noch 40 Kilometer bis zum Zentrum Beijings und nur noch 40 Kilometer bis zum Platz des himmlischen Friedens. Hinter uns liegen dann 14.000 Kilometer, bei dem einen oder anderen ein paar weniger, ich habe heute 12.890 km auf dem Tacho stehen, was daraus resultiert, dass ich drei Tage krank war und drei oder vier Tage mit Uli und Rosemarie auf dem Krankentransport unterwegs war. Unser eisernster Fahrer war letztlich Robert „Hütchen“, der keinen einzigen Tag auf dem Bus verbracht hat.

Dementsprechend spät können wir heute losfahren. Es dauert eine Weile, bis das Gepäck auf die beiden Fahrzeuge verteilt und verstaut ist, denn unsere Busfahrer mussten wir ja schon gestern verlassen, da unsere beiden Busse keine Zulassung für den Citybereich Beijing haben.

Alle haben gestern noch einmal T-Shirts gewaschen, so dass wir heute einheitlich in Weiß in die Stadt rollen werden, die eine Hälfte in unserem selbst entworfenen Athen-Beijing Shirt und die Teilgruppenteilnehmer in den Farben von China by Bike.

Gleich hinter dem Hotel geht es noch einmal einen Hügel hinauf und wenn nicht das ewige trübe Beijinger Sommerwetter wäre, hätten wir von hier wohl schon die Silhouette der Metropole erahnen können, aber so ist alles nur grau in grau.

Die Stimmung ist jedoch super, alle sind bester Laune und wir fahren heute betont langsam und vorsichtig, ein Massensturz  auf den letzten Kilometern wäre eine Katastrophe und wer weiß, wie der Verkehr in Beijing sein wird. Hier am sechsten Ring ist jedoch nichts los, so wenig sogar nur, dass man sich vorkommt wie im hinterletzten Dorf von Mecklenburg Vorpommern. Wir nutzen dies um in lockerer Formation zu fahren und kommen dann auch langsam an den Stadtrand. Wo letztes Jahr noch Bauschutt und Schlamm vorherrschte ist jetzt superglatter sechsspurige Flüsterasphalt und wir kommen reibungslos vorwärts.

Alles ist auf Olympia getrimmt, überall wehen Olympiafahnen und Banner aller Größen und jeder dritte Chinese trägt ein T-Shirt, das irgendetwas mit der Olympiade zu tun hat. Alles ist sauber geputzt worden, zumindest sieht man am Straßenrand keine der berühmten chinesischen Dreckecken und auch die größten Luft verschmutzenden Fabriken in der Umgebung laufen nur im gedrosselten Betrieb. Der Verkehr wurde stark reduziert, heute dürfen nur Fahrzeuge mit gerader Nummer fahren und morgen nur die ungeraden. Hohe Umweltauflagen gelten für alle Fahrzeuge, so dass man keine Traktoren und Trucks auch nur in der Umgebung der Stadt sieht. Und die Bemühungen machen sich bezahlt. Zwar hängt eine Dunstglocke über der Stadt, aber kein Smog, die Luft ist sauber und man kann gut atmen und das ist bei weitem nicht immer so hier.

In der Stadt ist dann etwas mehr Verkehr, aber doch deutlich weniger, als ich von Beijing gewohnt bin und die Autofahrer sind betont freundlich und nett und keiner versucht sich durch die Gruppe zu drängeln, sollten die breiten Aufklärungsfeldzüge der chinesischen Regierung doch gefruchtet haben:“ Seid freundlich und nett zu den Gästen, unterhaltet euch, aber vermeidet die 8 Themen“, mal sehen ob ich sie noch zusammen bekomme: Politik, Alter, Familiensituation und Partnerschaft (also Sex), Innenpolitik, Außenpolitik…mehr fällt mir nicht mehr ein, bleibt also nur noch das Wetter und die Börse als Thema übrig.

Langsam erreichen wir die Innenstadt und es mischen sich ein paar chinesische Radler unter uns. Auch Uli, der ja in Xinjiang seinen schweren Unfall hatte, reiht sich heute wieder ein, um mit uns die letzten Kilometer zu rollen. Und schon sind wir auf der Changanjie, der großen West-Ost Hauptachse durch die Stadt und wir rollen am Tor zum Zhongnanhai vorbei, der Park in dem die höchsten Personen der chinesischen Regierung residieren und dann kommt das Tor des himmlischen Friedens in Sicht, rechts neben uns das Abgeordnetenhaus im stalinistischen Baustil. Hier hat die Straße nun mehr als 8 Spuren in beide Richtungen und wir können uns weit auffächern und dann geht es rechts ab und wir drehen eine Runde um den Platz des himmlischen Friedens, nach Süden runter bis zum Qianmen und dann auf der anderen Seite wieder nach Norden bis vor das Historische Museum.

Hier stehen schon hunderte Chinesen vor der großen Uhr, die rückwärts auf den beginn der olympischen Spiele übermorgen Abend 8 Uhr zählt. Hier will jeder noch ein historisches Foto machen und wir natürlich auch. Mehrere Fernsehteams erwarten uns und die Chinesen und Ausländer auf dem Platz laufen sofort zusammen und so wird es eine sehr herzliche Begrüßung und wir werden mit Applaus überschüttet, als bekannt wird woher wir geradelt sind.

Überglücklich steigen wir von den Rädern und fallen uns in die Arme und dem einen oder anderen stehen die Tränen in den Augen und ich kann es kaum Glauben, dass wir wirklich unser Ziel erreicht haben. Was machen wir dann morgen, wenn wir nicht mehr aufs rad steigen müssen. Doch die Sektkorken reißen mich aus den Gedanken und lassen nur noch eines zu, nämlich Party. Roter klebriger Sekt spritzt in die Luft und über uns Radler und der ARD-Kameramann reißt seine Kamera in letzter Sekunde aus dem Strahl der klebrigen Flüssigkeit.

Dann beginnen die Fotoorgien, in die sich immer mehr Chinesen mischen und am Rande laufen rasende Reporter entlang und versuchen ein paar Interviews zu machen.

Nach einer knappen Stunde wechseln wir noch einmal den Platz und fahren direkt vor das Tor des himmlischen Friedens. Auch hier dürfen wir ungestört von den Rädern steigen und fotografieren, obwohl hier fast die höchste Sicherheitsstufe gilt, aber ein Polizist, der freundlich auf mich zukommt, will nur wissen, woher wir geradelt sind wie lange wir hier bleiben wollen und gratuliert dann zum erfolgreichen Abschluss der Fahrt.

Inzwischen ist es früher Nachmittag und wir haben noch einen Termin in der Deutschen Botschaft und bis dorthin radeln wir freudentrunken, aber ein paar kleine Schlenker kommen wohl auch von dem billigen Sekt.

Die Botschaft sieht aus, als ob in der oberen Etage Wasser ausgelaufen ist, welches dann eingefroren ist, dies erweist sich aber als eine Installation, welches ein locker dahin geworfenes T-Shirt darstellen soll.

Vor der Botschaft steht schon ein großer roter „Avanti“ Bus, der mit 27 Leuten von Freiburg hierher gereist ist und der Fahrer ist natürlich ein alter Bekannter von uns. Relativ schnell werden wir alle in die Botschaft eingelassen und der Botschafter hält eine kurze Ansprache und heißt uns in der Stadt der olympischen Spiele herzlich willkommen. Er teilt unsere Meinung und Enttäuschung über deutsche Medien und Politik, die immer wieder auf  Reizthemen wie Menschenrechte und Tibet fixiert sind und dabei die Fortschritte, die der chinesische Staat in alle Richtung macht, aus den Augen verlieren.

Im Garten der Botschaft gibt es dann Kekse und (lauwarme) Getränke (erwartet hatten wir ein kaltes HefeweizenL) und wie haben ein paar nette Gespräche mit Mitarbeitern der Botschaft und weitere Interviews und irgendwann wird es zeit, endlich ins Hotel zu fahren und den Schweiß und die Sektreste vom Körper zu spülen.

Letzter Programmpunkt am Abend ist dann die berühmte Pekingente, zu der uns China by Bike auf den erfolgreichen Abschluss der Tour einlädt. Pekingente ist nicht einfach nur Ente, erkläre ich unseren Teilnehmern sondern eine spezielle Mastente, 24 Stunden in Honig und Sojasoße und Gewürzen mariniert und getrocknet und dann über Kirschbaumholz gebraten. In kleine Pfannenkuchen werden nur die Haut und eine dünne Fleischschicht, dazu Gurken und Zwiebeln und eine dunkle Bohnensoße eingewickelt und gegessen. Alle anderen teile werden zu zahlreichen Gerichten verarbeitet, die vorher und nachher gereicht werden. Ein großes lob an Volker bei der Auswahl des Restaurants, denn es ist die leckerste Pekingente, die ich je hatte. Gegen 22 Uhr sind wir alle todmüde und dann geht es in Taxis zurück ins Hotel und ab ins bett. Ich für meinen Teil bin so müde, dass ich keinen Moment mehr Zeit habe, um mir die zahllosen Ereignisse des Tages noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.