Archiv: 2011 Transeurasien

57. Tag: Samstag, der 11. Juni 2011

Samstag, den 11. Juni 2011

Asien oder Europa?

141 km von Barda nach Orda, wieder über 1000 hm über lange und kräftige Hügel auf mittleren Straßen, sonnig und am Nachmittag Regenschauer bis 22 Grad

Draußen ist es erstmals richtig neblig, als wir um 8 Uhr aufbrechen, doch die Sonnenstrahlen saugen langsam aber sicher die am Boden hängenden Wolken auf und nach einer halben Stunde haben wir das schönste Frühsommerwetter. Hinter den letzten Nebelschwaden tauchen wieder die Hügel des Ural auf. Theoretisch sind wir heute mittendrin im „Hochgebirge“ zu dem der Ural gerechnet wird, aber das ist wohl eher im Norden so. Zwar ragt er da auch nur bis 1600 Meter in die Höhe, aber wegen des nördlichen und kontinentalen Klimas herrschen dort ähnliche Verhältnisse wie in den Alpen. Hier unten im Süden ist der Ural, der ja einer der ältesten Gebirge der Welt ist, schon ziemlich „abgelutscht“, das heißt es sind nur mehr oder weniger sanfte Hüggel bis 400 Meter Höhe übrig geblieben, alles andere ist schon lange abgetragen worden. Vielleicht auch zum Glück für uns, denn die Mittelgebirgshügelei hat es in sich. Es geht immer 100 Meter nach oben und dann wieder runter und dann 150 Meter nach oben und wieder runter und mitunter haben die Steigungen 8 oder 9 Prozent.

Schon am frühen Mittag sind wir in Uinkskoe, ein kleines bewegtes Städtchen. Wir überlegen nach den 85 Kilometern, ob wir bleiben oder weiter fahren und entscheiden uns dann für Letzteres.

Landschaftlich ist der Ural wirklich ein Ereignis, vor allem jetzt im Juni, wo es überall auf den Wiesen blüht. Ein Freilichtmuseum braucht man nicht zu besuchen, denn in den meisten Dörfern dominieren noch die Holzhäuser, auch wenn hier, wie fast überall, viele Häuser aufgegeben wurden und kurz vor dem Einstürzen sind.

Am Anfang sieht es so aus, als ob wir hinter Uinskoe durch den Ural schon durch sind, die Landschaft wird sichtbar flacher, dass heißt aber nicht, dass es weniger Steigungen gibt, die Anstiege ziehen sich jetzt dafür länger hin. Wir fragen eine ältere Dame, ob wir in Europa oder in Asien sind, sie sagt uns noch in Europa, die Grenze sei erst kurz vor Jekatarienburg und dort würden alle Touristen sowieso halten und Fotos machen. Das stimmt zwar nicht mit meinen geographischen Kenntnissen überein, aber wir belassen es erst einmal dabei, dass wir noch in Europa sind. Heute Morgen habe ich ein Stück Kreide vom Billardtisch im Hotel gemopst, zur Not malen wir uns unsere Grenzlinie selbst. Mit der Gewitterwolke vor uns haben wir heute nicht so viel Glück wie gestern und gleich hinter Uinskoe fängt es an zu regnen. nach einem kräftigen Guss plätschert es dann nur noch ein wenig vor sich hin und wir sind ständig am Jacke an-und ausziehen.

Kurz vor 20 Uhr haben wir dann unsere Tagesarbeit fast geschafft, 140 Kilometer liegen hinter uns und der kleine Ort Orda taucht vor uns auf. Am Ortseingang gibt es ein kleines Hotel, da ist aber nur noch der Schlafsaal frei und wir sollen es im „Zentrum“ noch einmal probieren. Dann eiern wir drei Runden durchs „Zentrum“, also die Straße in der es eine Post, eine Verwaltung, ein Klubhaus und zwei Läden, allerdings kein Hotel gibt. Dreimal werden wir vor und wieder zurück geschickt und landen dann wieder am Ortseingang im Schlafsaal. Der Raum ist schön eng und die Betten ein Katastrophe, man liegt wunderbar spiral gefedert und die Dusche ist einmal durch den Schlamm über den Hof. Selbst nach einer Stunde warten kommt nur lauwarmes Wasser und auf dem Rückweg wird dann pro Person 50 Rubel abkassiert.

Der Matroschka im Hotel, vom Umfang passen in die Frau noch einmal fünf weitere Frauen, stelle ich dann noch einmal die Europa oder Asien-Frage. Sie denkt kurz nach und antwortet dann: Nicht in Europa und nicht in Asien, wir sind in Russland!

56. Tag: Freitag, der 10. Juni 2011

Freitag, den 10. Juni 2011

Durch den Ural

130 Kilometer von Tschaikowski nach Barda, davon 40 km Piste, ansonsten ruhige Straße, 1050 kräftige Höhenmeter bei wunderbarem Wetter bis 26 Grad und haarscharf an der Gewitterwolke vorbei

Am Morgen geht es durch viele Birkenwälder und am Straßenrand sitzen ab und zu Frauen und verkaufen frisch gesammelte Birkenpilze. In mir erwacht sofort die Leidenschaft und bei der nächsten Pause verschwinde ich im Gestrüpp zwischen den schwarz-weißen Stämmen. Schnell finde ich auch einen einzigen schönen Pilz und dann reicht es auch, denn im Gebüsch warten schon Abermillionen von Mückenweibchen auf Pilze suchende Opfer. Tropenausrüstung plus Gummistiefel sollte also zur Grundausstattung eines jeden Pilzsuchers hier gehören.

Langsam nähern wir uns dem Ural oder stecken vielleicht schon mittendrin, denn es hügelt kräftig vor sich hin. Es ist nicht ganz der Gebirgszug, den wir erwartet haben, aber die langen Hügel geht es doch recht steil hoch und danach wieder runter. Trotzdem ist es wunderbares fahren in einer blühenden Landschaft. Siedlungen und Dörfer gibt es kaum, den ganzen Vormittag sehen wir kaum Leute. Die Straße ist ausnahmsweise einmal richtig gut und wegen einer Baustelle auf der Strecke gibt es auch keine Autos. Einen Kilometer müssen wir dann an der Seite durch etwas Matsch. Zum Glück gibt es eine Raststätte und so kommen wir auch zu einem kleinen Mittagessen.

Ein paar Hügelketten weiter müssen wir dann runter von der Straße und auf die Piste. Es ist die einzige Verbindung nach Osten in Richtung Barda. Der Einstieg war nicht einfach zu finden, denn selbst die Leute in den Orten davor kennen den Verbindungsweg nicht und empfehlen die 100 km drumherum.

Der Weg ist aber ganz in Ordnung, zumindest heute, wo es trocken ist. bei Regen würde es hier allerdings ganz anderes aussehen. In Litauen haben wir ja schon ordentlich Offroad-Strecken trainiert und das kommt uns hier zu gute. Wegen des erdigen Untergundes ist alles auch schön glatt und fest gefahren und es gibt keine Wellblechpisten. Lediglich aller zwei Kilometer gibt es Schlammlöcher, um die wir herum navigieren müssen.

55. Tag: Donnerstag, der 9. Juni 2011

Donnerstag, den 9. Juni 2011

An der schönen blauen Kama

90 km von Ischewsk nach Tschaikowski, 477 Höhenmeter auf guter und dann miserabler, aber ruhiger Straße, zurück ist das schöneWetter mit wenig Wolken und 22 Grad

Auf unserem Weg heute kommen wir in der Stadt Wotkinsk vorbei, dort wurde der russische Komponist Tschaikowsky geboren und weil der eine wunderbaren Walzer mit dem Namen „An der schönen blauen Kama“ geschrieben hat, wurde die nächste größere Stadt am Fluss dann auch nach ihm benannt. Dort wollen wir hin und haben endlich den Wettergott wieder ganz auf unserer Seite. Die Temperaturen klettern auf sehr angenehm und wegen einer Baustelle ist die Straße bis auf drei Kilometer Piste nicht nur sehr gut, sondern auch fast autofrei.

Zu sehen gibt es heute unterwegs nicht sehr viel, es geht über Hügel und durch Senken und meistens durch dichten Wald, mal Fichten und Kiefern und dann wieder einmal Birken. Ortschaften gibt es kaum und die Stadt Wotkinsk lassen wir links liegen.

Von dort wird dann die Straße wieder sehr holprig und als wir aus dem Wald kommen sind wir an der Kama, die wirklich schön blau vor uns liegt oder besser ein Staussee., der von der Kama gespeist wird.

Interessant wird es an der gigantischen Schleuse, durch die gerade ein Kreuzfahrtschiff geschleust wird. Eine gute halbe Stunde beobachten wir die gigantische Technik und fahren dann in das Städtchen ein. Obwohl es eigentlich nichts Besonderes zu sehen gibt, macht die Stadt einen angenehmen Eindruck. Das Hotel ist noch ein Relikt aus der Sowjetunion, in den Zimmern hat sich auch nicht viel getan, aber es ist nicht schmutzig und aus der Dusche kommt Wasser, wenn auch nur einen Hauch lauwarm, dafür ist der preis erfrischend niedrig.

Hatten wir uns noch über die zeitige Ankunft gefreut, ist der Zeitvorteil sofort wieder weg, die Uhr wird um 2 Stunden umgestellt, es ist also nicht 16 Uhr, sondern schon 18 Uhr.

Unser Plan für heute ist nur noch ein kräftiges Abendbrot und ich will endlich ins Internet, in dem Cafe neben dem Hotel soll es Wireless geben, na wir werden ja sehen!

54. Tag: Mittwoch, der 8. Juni 2011

Mittwoch, den 8. Juni 2011

Durch Udmurtien

110 km von Warzi Jatschi nach Ischewsk, 470 hm auf teilweise ruhiger Straße, trüber Himmel ohne Regen und am Abend richtig schön

Es regnet die ganze Nacht und am Morgen immer noch. Erst als wir aufbrechen hört es auf -so muss das sein. Zwar sieht es immer noch düster aus, aber vielleicht kommen wir ja trocken ein wenig vorwärts. Natasja begleitet uns auch am Morgen wieder, sie hat das Formular mitgebracht, damit wir auf dem Parkplatz auch unsere Räder wieder mitnehmen dürfen. Es gibt wirklich noch richtig liebenswürdige Dinge aus alten Zeiten in diesem Land. Zum Abschied bekommt unsere nette Begleitung wieder ein Lied von Gerhard und Barbara gesungen.

Die dunklen Wolken halten sich, aber wir bleiben trocken und kommen gut vorwärts, heute sind die Hügel auch nicht mehr ganz so bissig. Die kleinen Dörfer hier in Udmurtien beherbergen auch zahlreiche Tartaren, zu erkennen an einer kleinen Moschee im Dorf, denn die Udmurten sind russisch-orthodox oder gar noch an schamanistischen Traditionen hängend, aber davon ist nichts zu erkennen, außer vielleicht, dass die Friedhöfe in einem dichten Waldstück liegen und ziemlich stark verwildert sind.

Auch heute scheinen wir wieder auszusehen wie die Profis mit immensem Insiderwissen und werden nach dem Weg gefragt, dabei sind mir meist froh, wenn wir den richtigen Abzweig gefunden haben.

Arguis ist eine hässliche Kleinstadt auf halbem Wege, hier hat sich seit 20 Jahren kaum etwas verändert, ich sehe mich wie üblich nach einem Hotel um, um die karte einzusammeln, aber es gibt erst an der M7 wieder zwei Motels. Davon hat eins geschlossen und das andere ist so schäbig, dass es hervorragend als Kulisse für einen Horrorfilm dienen könnte.

Auf den letzten Kilometern nach Ischewsk ist die Regengefahr dann ganz gebannt, im Gegenteil es wird sogar noch richtig schön. Einzig ärgerlich ist, dass die Stadt noch einmal auf einem Berg liegt und das Zentrum sich ganz oben befindet. Dafür hat man dann natürlich eine gute Aussicht über den See bis hin zu einem riesigen Stahlwerk.

Bekannt ist die Stadt vor allem für die Produktionsstätte der Kalshnikow AK-47, die hier bis heute gebaut wird. Mit 100 Millionen Stück ist sie die weltweit am meisten Produzierte Waffe und alle meine Ostleser haben das gute Stück während des NVA Dienstes noch in der Hand gehabt.

Besonders schön leuchtet die Sankt Michaels Kathedrale in der Abendsonne, ein schönes Stück russischer Sakralbauten und fast so schön, wie die Basilius-Kathedrale in Moskau.

Entlang der Flaniermeile in der Stadt, hier keine Einkaufsmeile, sonder es reihen sich Kino, Theater und Kulturpalast hintereinander trifft sich auf den Abend die halbe Stadt, um noch ein wenig Abendsonne zu tanken. In der Nähe finden wir auch ein nettes Restaurant mit Schaschlik und Plov, einem eigentlich eher zentralasiatischen Reisgericht, aber bis Asien ist es ja nicht mehr weit und wir alle hoffen, dass es einen schönen Strich über die Straße oder ein Schild gibt.

Ab morgen endet meine gut aufgelöste Karte und dann tasten wir uns auf nicht so tollen Maßstäben durch die Landschaft, Perm habe ich aus dem Programm gestrichen, da ist nicht zu viel zu sehen und es geht immer auf der M7 entlang und so wollen wir uns auf kleinen Straßen einmal quer durch den Ural wurschteln.

53. Tag: Dienstag, der 7. Juni 2011

Dienstag, den 7. Juni 2011

Im Kurort hinter den Kuhweiden

85 Kilometer von Neberschnui Tschelnuy nach Warzi Jatschi, 12 bis höchstens 18 Grad bei wechselnden Winden und ein wenig Regen, 400 hm mit bissigen Anstiegen

Die Qualität eines Hotels zeigt sich immer beim Frühstück und das heute war eines der besten, was wir je hatten. Neben Sauerkraut mit Würstchen gibt es auch wie üblich diverse Salaten, Wurst und Käse, Kartoffeln, Eiern, Müsli, dazu wirklich leckeren Kuchen in breitem Sortiment. Wir sind fast versucht noch einen Ruhetag einzuschieben und eine 24 Stunden Kaloriendiät zu machen, zumal es draußen nicht sehr einladend ist; kalt und feucht.

Am Anfang geht es über die Staumauer, dann biegen wir nicht nach Jelabuga ab, auch wenn es dort ein sehenswertes Zentrum geben soll, aber bei 12 Grad und Regen machen Stadtbesichtigungen keinen Sinn. Dafür gibt es eine positive Überraschung, nämlich eine gute Nebenstraße bis zum Ziel.

Am Anfang gibt es noch ein wenig Industrie und wir haben recht schöne Blicke über den Stausee, der hier wohl recht flach ist. Es gibt zahlreiche kleine Dämme, die dann zu scheinbar auf kleinen Inseln liegenden Gehöften führen. Im Boden scheint es jede menge Erdöl zu geben, zumindest kommen wir heute drei oder vier Mal an Förderpumpen vorbei.

Barbara wird sich noch an richtige Berge gewöhnen müssen, den bei jedem auftauchenden neuen Hügel schimpft sie über die langen Steigungen und bei den darauf folgenden Abfahrten noch einmal, denn wo es runter geht, geht es auch bald wieder hoch.

Die Landschaft aber ist viel poetischer geworden, auf den Hügelketten gibt es Fichtenwälder, davor weite Getreidefelder an deren Rändern violett die Lupinen blühen. Auf den grünen Wiesen stehen Kuhherden und bilden farbige Punkte in der Landschaft. Wir haben Tatarstan heute verlassen und sind nun in der Republik Udmurtien. Die Häuser unterscheiden sich kaum von den russischen und tatarischen, allerdings liebt man die Farbe blau und es gibt richtige Tore, manchmal mit Verzierungen und in farbenfreudigen Anstrichen.

Warzi Jatschi ist ein winziges Nest, die Bewohner staunen uns an und die Gänse auf der Straße schnattern aufgeregt. Gibt es hier wirklich ein Sanatorium und damit die einzige Übernachtungsmöglichkeit in 50 km Umgebung? Gibt es und nicht einmal ein kleines Objekt für vielleicht 300 Kurgäste. In der Verwaltung haben wir Glück, denn das Heim ist eigentlich immer ausgebucht, aber Dank zweier Absagen können wir Zimmer bekommen. Dabei hilft uns Anastasia, eine frisch gebackene Uni Absolventin aus dem Büro. Sie hat neben Controlling auch noch Englisch studiert und freut sich riesig, endlich mal wieder reden zu können. Auch die Deutschlehrerin aus dem Nachbardorf kam sofort mit dem Auto angebraust, nachdem sie erfahren hat, dass „richtige Deutsche hier eingetroffen sind. So müssen wir tausend Fragen beantworten und werden von Natasja dann überall hin begleitet und herumgeführt. So vergeht der späte Nachmittag recht schnell. Nach draußen möchte man nicht gehen, denn es gießt in Strömen und der Wetterbericht für Morgen verspricht Ähnliches.

Das Abendessen wird pünktlich um 19 Uhr serviert, nichts grandioses, einen kleinen Salat und Hühnerkeule mit Nudeln, aber komplett hinreichend, um müde zu werden.