Archiv: 2011 Transeurasien

62. Tag: Donnerstag, der 16. Juni 2011

Donnerstag, den 16. Juni 2011

Hinterm Ural

148 Kilometer von Jekatarienburg nach Kamuischlow, 350 hm, anfangs regen, dann optimales Radwetter mit leichtem Rückenwind und bis 20 Grad bei Wolken

Noch einmal genießen wir das gute Frühstück im Hotel und laden noch ein paar geschmierte Brötchen für die Mittagspause zu. Draußen sieht es nicht gerade sehr einladend aus, es regnet, es hat die ganze Nacht geregnet und es sieht so aus, also ob es in ganz Sibirien regnet.

Anfangs gibt es auf der Autobahn noch einen breiten Seitenstreifen, dann wird es wieder enger und der Verkehr ist recht straff und wir gehen wieder auf Tuchfühlung mit den LKW. Den Ural haben wir nun endgültig hinter uns gelassen, es ist merklich flacher, kaum noch mal ein Hügel. Allerdings ist von der Weite der Landschaft noch nicht zu viel zu verspüren, aber auf den Hauptstraßen hat man ja eh einen ganz anderen Eindruck von der Landschaft, der Gegend und den Leuten.

Geplant hatten wir nur einen kurzen Tag mit 90 Kilometern bis nach Bogdanowitsch, dort finden wir auch das Hotel oder besser gesagt, die sowjetische Herberge. Die Zimmer sind sehr schlicht und altmodisch und Dusche gibt es nur auf dem Flur, dafür eine kleine Küche, wo man hätte in schönes mahl zaubern können. Aber die übertakelte Matrone hat keine Lust auf Arbeit, es gibt keine Möglichkeit, die Räder sicher abzustellen, wir sollen zwei Kilometer vom Hotel parken. Also entschließen wir uns weiter zu fahren und sie hier in ihrer Absteige können warten bis der nächste Lenin mal wieder eine sozialistische Revolution veranstaltet.

Auf Kamuischlow zu haben wir noch ein kleines Stück Nebenstrecke und sofort wird es wieder schön. Hier passiert es dann auch öfter, dass die Leute nach dem Woher und Wohin fragen. Im Ort gibt es wieder ein winziges Hotel, aber wieder Nichts, es gibt dort nur ein Zimmer für eine Person überhaupt, kann aber auch sein, dass sich die Chefin wiederum im Schlaf gestört fühlt. Am Ortsausgang gibt es noch eine Herberge, etwas runtergekommen, aber man bemüht sich. Es gibt zwei Zimmer für uns, die Dusche wird schön heiß, leider hat das Cafe unten und der Laden gegenüber schon seit zwei Jahren geschlossen. Jacky und ich radeln noch mal ins Dorf zurück und wir plündern den Laden und kehren mit einer vollen Packtasche zum Abendbrot zurück.

Der tag war recht ereignislos, aber dann doch recht lang, immerhin fast 150 Kilometer die wir mit einem Schnitt von knapp über 20 km/h zurück gelegt haben.

61. Tag: Mittwoch, der 15. Juni 2011

Mittwoch, den 15. Juni 2011

Ruinen und Technische Wartung

Zweiter Ruhetag in Jekataruienburg, sonnig bis 18 Grad

Endlich ist das schöne Wetter zurück, auch wenn der Wetterbericht für die nächsten tage noch Schauer verspricht, ist es wenigstens nicht mehr so kalt. nach den langen Etappen der letzten Woche gönnen wir uns einen zweiten Ruhetag und heute stehen die Fahrräder auf dem Programm. Und wie um unsere Absicht zu untersteichen, holen wir doch Jackies rad platt aus der Kofferkammer. Ein winziger Stahldraht von zerfledderten Autoreifen hat sich durchgebohrt und ein noch winzigeres Loch hinterlassen, das Problem kennen ich noch von der Athen-Beijing Tour. Miriam hat eine Schraube am Vorbau verloren, das Gewinde war total zerfressen, aber ich konnte es richten und nach 5000 km wechsele ich zum zweiten Male die Ketten an den Rädern. Heute kommt die erste Kette wieder drauf und am Baikalsee wird wieder gewechselt. So kann man die Laufzeiten von kette und Block erheblich verlängern, außerdem müssen die bremsen nachgestellt werden. Nach zweieinhalb Stunden sind die Räder dann wieder fit für die nächsten Etappen.

Auch heute machen wir wieder einen Spaziergang und statten der Fernsehturmruine einen Besuch ab. Rundherum befinden sich noch weiter Gebäude, die großkotzig geplant und dann mitten im Bau abgebrochen wurden, ein Paradies für rauchende Kids, Liebespärchen und Grafitti-Sprayer. Der eigenartige Bauszustand der Stadt zwischen Größenwahn und Verfall scheint der zentrale Eindruck der Stadt zu werden.

Auf den Straßen im Zentrum finden sich zahlreiche kleine Händler, eine Frau verkauft drei Sträuße Blumen und eine andere hat eine Kiste mit zehn Sonnenbrillen. Wie kann man davon leben? Ein Mann mit fünf Kartoffeln, drei Rettichen und einem Bund Lauchzwiebeln bitte ich um ein Foto, er bemängelt, das es in den letzten 10 Jahren für die alten Leute immer mehr bergab geht. Wir haben den Krieg gewonnen, den deutschen geht es gut und wir sitzen hier und wissen nicht, wo unsere Rubel herkommen sollen. Auf der Straße rauscht wieder die Autokolonne vorbei, auch teure Schlitten sind darunter, auch wieder einmal ein fetter Hummer. Russland wird wohl auf ewige Zeiten ein Land der großen Widersprüche bleiben.

60. Tag: Dienstag, der 14. Juni 2011

Dienstag, den 14. Juni 2011

Architekturclash

Ruhetag in Jekatarienburg, wolkig und ein wenig Sonne, kühl bei 18 Grad

Ruhetage sind immer anstrengen, meistens beginnt das mit einem zu üppigen Frühstück, danach ist man gleich wieder schwer müde und möchte ins Bett fallen anstatt Wäsche zu waschen. Dann kommen auch noch die anstrengenden Stadtspaziergänge. Die Millionenstadt Jekatarienburg ist nicht unbedingt schön zu nennen. Zuerst fällt einem eine Moderne ins Auge, die anderen Städten fehlt, dann realisiert man die vielen Grünflächen. Wenn man dann aber genau hinsieht realisiert man den sinnlosen Bauboom. Überall wird gebaut und in irgendeinem Stil, ich glaube die Stadt ist ein Mekka für Architekten, die um jeden Preis auffallen wollen. Die Hälfte aller neu gebauten Gebäude steht leer, man würde schon einen wirtschaftlichen Aufschwung a la China gebrauchen, um hier die Büros zu füllen. Zwischen den Stahl, Glas und Betonfassaden findet man dann selten Schmuckstücke aus alten Zeiten, eine klassizistische Fassade oder eine Kirche mit goldenen Kuppeln oder ein städtisches russisches Holzhaus. Letztere sind aber meist so eingekesselt von der Moderne, dass sie darin untergehen. Natürlich fehlen auch nicht die Jahre des Sozialismus, mitten im Zentrum befindet sich eine große Fabrik mit ihren wunderbar hässlichen grauen Fassaden und Industriedesign. Dahinter dann gleich die Plattenbauten, einige schön renoviert, andere ein wenig angenagt vom Zahn der Zeit, dazwischen immer aber ungepflegt. kein Stück Rasen oder keine Grünfläche, wo nicht irgendwelche Gerümpelhaufen dazwischen liegen, Spielplätze rotten vor sich hin und dahinter gleich wieder eine glitzernde Fassade eines Bürohauses. Also recht viele Widersprüche.

An Sehenswürdigkeiten haken wir heut nur die witzig anmutende Statue von Swerdlowsk ab, der irgendwie aussieht wie das tapfere Schneiderlein.

Nicht zu vergessen hier die Kathedrale auf dem Blut. 1916 wurde der letzte Zar, Nikolaus II hier ermordet, mitsamt seiner gesamten Familie. Mit der Absetzung von Diktatoren habe ich keine Probleme, da gehört das „Rübe ab“ nach Revolutionen einfach dazu, aber das die ganze Familie ausgelöscht wurde, ist dann doch schon sehr heftig. Inzwischen hat man an der Stelle eine Kathedrale errichtet, zwar gibt es in Russland keine Zarewitschs mehr, aber die Anhänger des Zarentums sind noch nicht ausgestorben und halten rund um die Kirche Andenken und Souvenirs bereit.

Langsam trödeln wir vielleicht vier Stunden durch die Stadt, der Verkehr hier ist auch recht dicht und chaotisch, aber wie in allen Teilen Russlands, die wir bisher kennen gelernt haben, sind die Autofahrer mehr als höflich zu Fußgängern. Man hat die Straße kaum betreten halten alle an und es versucht nicht mal jemand noch schnell vorbei zu kommen. Wenn die Russen sich die gleiche Höflichkeuit auch Radfahrern gegenüber angewöhnen würden, dann würde ich vielleicht doch hierher umsiedeln wollen.

59. Tag: Montag, der 13. Juni 2011

Montag, den 13. Juni 2011

In Asien

140 Kilometer von Kljutschebnui nach Jekatarienburg, wolkig mit ein paar kalten Schauern, bis 12 Grad, meist kälter, und wieder 1000 Höhenmeter

Noch ein lange Tagesritt bis nach Jekatarienburg und so brechen wir um 8 Uhr auf. Es ist wieder erbärmlich kalt und sieht nach Regen aus. Der Wind bläst straff, doch wenigstens aus der richtigen Richtung und schiebt uns über die wieder langen Hügel hoch und runter und das obwohl die Landschaft eher flach aussieht. Trotzdem sind hier die höchsten „Wölbungen“ des Ural. Und wir haben heute wieder etwas Tolles gelernt, was wir eigentlich gar nicht wissen wollten: Die variszistische Orogenese erreichte durch die Westverschiebung von Gondwana einen Höhepunkt und erzeugt den Ural. Das liest sich wie aus dem „Herr der Ringe“ ist aber von Herr oder Frau Wikipedia zur Entstehung des Uralgebirges.

Bei einer Rast schwatzen wir mit ein paar Polizisten, die recht gut ausgerüstet sind, schwere Pistole und neben dem Fahrersitz die Kalaschnikow, die sie uns gerne auch einmal vorführen, es ist eine verkürzte Variante, AKU genannt, vor allem auf kurze Distanzen sehr effektiv.

Das Wetter hält sich eine Weile lang und wir reiten nun endgültig der asiatischen Grenze entgegen, die müsste nun hinter Perwouralsk liegen und es soll ein Monument an der Straße geben. Gegen 15 Uhr liegt dann die Stadt hinter uns, wir werden ein paar mal von Regenschauern richtig nass und es beginnt die Autobahn auf Jekatarienburg zu, doch von der Grenze keine Spur. Wir suchen uns noch ein nettes Cafe und malen unsere eigene Grenze auf die Straße und beglückwünschen uns zum gelungenen ersten Teil der Reise mit Kaffee und Kuchen. Wenig später kommt dann auch die wirkliche Grenze, die ist aber eher unspektakulär, das „Monument“ ist ein kleiner zusammen geschweißter Blechhaufen und bei dem Verkehr auf die Millionenstadt zu lässt sich auf der Autobahn kaum anhalten. Bei einem kurzen Halt stoßen wir mit einem letzten Schluck Rotwein aus Arthurs moldawischer Produktion an und dann geht es zügig der großen Stadt entgegen.

Bei der Einfahrt lernen wir eine moderne Großstadt kennen, viele moderne Hochhäuser stehen hier oder werden gebaut. Im Zentrum dominiert die höchste Investruine der Welt, ein in den 90er Jahren begonnener Fernsehturm, der über 400 Meter Höhe erreichen sollte. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Bauarbeiten eingestellt und nun ragt dieses Betonmonstrum fast 300 Meter in die Höhe.

Die Hotelsuche war wieder nicht ganz einfach, im zweiten Laden verhandeln wir schon die Details und bekommen mitgeteilt, das die Fahrräder in die Kofferkammer können, dann fällt der Dame an der Rezeption ein, dass ja gar kein Zimmer mehr frei ist. Also ziehen wir weiter und haben dann Glück. Saubere Zimmer, modern und nicht zu teuer, allerdings funktioniert für zwei Tage das warme Wasser nicht, allerdings im gesamten Stadtviertel.

Den Abend lassen wir im Lokal um die Ecke ruhig ausklingen und beschließen, uns hier zwei Ruhetage zu gönnen, das heißt ein wenig in der Stadt herumlaufen und Wäsche waschen, Fahrräder warten und für mich viel Arbeit am Computer.

58. Tag: Sonntag, der 12. Juni 2011

Sonntag, den 12. Juni 2011

Scheißtag mit Happy-End

132 Kilometer vorwiegend im Regen und bei ungemütlich kalten 11 Grad, allerdings Rückenwind und 900 hm von Barda nach Kljotschebnika an der E 22

Am heutigen Tag hat eigentlich jeder einmal schlechte Laune und am Morgen bin ich es. Ich hatte vorgeschlagen noch einen kleinen Abstecher nach Norden zu machen, einen Umweg von 17 Kilometern nach Kungur, dort gibt es ein nettes Städtchen mit schöner Architektur und einer Höhle mit permanentem Eis-eigentlich doch ganz interessant. So wäre sogar noch ein halber Ruhetag dabei heraus gekommen.

Allerdings zeigt das Thermometer draußen am Morgen gerade einmal 10 Grad und da kann man mit dem Gedanken an eine Eishöhle keine Gruppe gewinnen und so falle ich bei einer demokratischen Abstimmung durch.

Den ganzen Tag wird es nicht viel wärmer, von der Sonne keine Spur und es regnet, wenigsten drehen wir, als wir auf die Hauptstraße E22 einbiegen in den Wind, der uns recht ordentlich vorwärts treibt. Nur Stehen bleiben darf man nicht, dann wird es sofort mehr als unangenehm.

Zu berichten gibt es nicht viel vom Tag, es geht mächtig weitere lange Hügel hoch und runter, der Ural liegt also doch noch nicht hinter uns. Der Regen tropft öde auf den Fahrradhelm und Fotowetter ist auch nicht.

Als wir dann Atschit erreichen, wo wir nach 95 nassen Kilometern eigentlich übernachten wollen, haben alle anderen richtig schlechte Laune, es gibt hier weder an der Straße noch in dem kleinen Städtchen ein Hotel oder Motel oder eine andere Herberge. Das Wetter lädt auch nicht sonderlich zum Zelten ein und nach Auskunft der Polizei ist das nächste Hotel noch 50 Kilometer weiter weg. Einen Abstecher nach Süden verwerfen wir, dort gibt es noch eine Stadt, aber die liegt nicht auf der Strecke und von dort kommt auch der Wind. Also wird es wohl ein langer tag werden.

Gegen 19 Uhr haben wir fast 30 Kilometer geschafft und machen och eine Pause mit einer dicken Mahlzeit, auch hier wieder die Auskunft: noch 25 Kilometer bis zum nächsten Motel an der Autobahn. Wenn das dann noch so ein winziges Hotel ist, dann wird es auf den Abend schwierig noch 5 Betten zu bekommen.

Doch dann wandelt sich unser Glück, nach nur vie Kilometern kommt ein winziges Hotelchen und wir werden trotz klatschnasser Klamotten und Dreck freundlich begrüßt. Arthur, der Inhaber ist Moldawier und in allen Geschäften tätig, die ein bisschen Geld abwerfen. Hinter dem Hotel laufen Gänse und Puten herum, der Grill brutzelt Schaschlik im Hof und er stellt selbst Wein her. Richtig guten Wein sogar. Die Trauben lässt es sich dafür direkt aus Moldawien mit dem Truck anliefern. Wir müssen seine drei verschiedenen Sorten durchprobieren und mit jedem Schluck bekommen wir alle wieder gute Laune, werde aber auch recht schnell bettschwer.