Archiv: 2010 Hallo, Vietnam!

162. Tag in Hanoi – Freitag, der 8.10.10

Freitag, den 8. Oktober 2010

Kleine Orgie

Seit einer Woche habe ich ja Mitbewohner im Haus und heute gab es eine kleine Party. Frederik hat sich ein Soundsystem gekauft und sorgt für Beschallung und trotz der drei Motorräder in der Küche haben wir eine lustige Party mit viel Wodka und Bier. Und gegen 23 Uhr sind selbst die lärmgewohnten Nachbarn gesteresst und bitten darum, die Musik leiser zu drehen. Warum? Na doch nur, damit morgen früh um 7 Uhr die Bohrmaschine und der Motorhammer wieder angeworfen werden können.

161. Tag in Hanoi – 07.10.2010

Donnerstag, den 7. Oktober 2010

Fotoorgie im Gotehe -Institut

Gestern habe ich 40 Sticker erstanden, Herzen oder kleine Fahnen in Rot mit dem vietnamesischen Stern drauf. Damit laufen die Leute hier am Hoan Kiem See herum und pappen sich die Sticker auf die Wange. Wir nutzen die Gelegenheit, um in der Pause eine schöne Fotosession zu veranstalten, Gelegenheit für die Schüler der beiden Klassen, etwas Luft zu schnappen. In knapp zwei Wochen wird es ernst und sie haben die B1 Prüfung, Vorraussetzung für die Fahrt nach Deutschland zur Uni. Wie schnell doch die Zeit verging und wie (mehr oder weniger) fleißig alle gearbeitet haben, mit den meisten kann man eine einfache Konversation betreiben. Textbearbeitung und Hörverstehen bereiten logischerweise noch Probleme. Am schwierigsten aber ist es für die jungen Leute, selbständig zu denken und auch einmal eine eigene Meinung zu äußern, das ist an vietnmesischen Schulen und Unis nicht gefragt. Politische Themen schneide ich eher nicht an, diskutieren kann man lediglich über Männer und Frauen Themen, Umweltschutz ist nicht sehr beliebt und eine kritische Selbstreflektion ebenso. Aber wir arbeiten daran!

Am Abend fand noch die Probe für die große Parade zum 1000 Jubiläum am Sonntag statt, seitdem geht mir das alte DDR Lied „Soldaten sind vorbeimarschiert, im gleichen Schritt und Tritt!“nicht mehr aus dem Kopf. Schön leer war es auf den Straßen, denn es durften keine Fahrzeuge fahren und schön voll, denn die Leute strömten zu Fuß zur Kim Ma Straße und ich deke so bei mir: Es geht doch! Nur Mut Hanoier Stadtverwaltung. Mehr Fahrverbote für freie Straßen! Schließlich leben wir hier nicht in einer Demokratie.

160. Tag in Hanoi – 6.10.2010

Mittwoch, den 6. Oktober 2010

1000 Bilder in Hanoi

Gleich hinter dem Literaturtempel gibt es jetzt eine temporäre Ausstellung, natürlich zum Thema „1000 Jahre Hanoi“, eigentlich hatte ich viel erwartet, aber die Ausstellung war einfach nur lausig. Wild zusammengewürfelte Bilder wurden im Freien aufgestellt. Die Qualität der Abzüge ist mehr als lausig und auf die Erwähnung des Fotografen und des Bildtitels wurde oft ganz verzichtet.

Es gibt ein paar wenige schöne Motive, aber im großen und ganzen scheint es mir, hat man ausgestellt, was man gerade so bekommen konnte an Bildern. Es gibt kein Ordnungsprinzip oder Motto außer „Hanoi“ und selbst da muss man bei vielen Bildern einfach nur sagen „Thema verfehlt“.

Schade, denn gerade aus Anlass einer so großen Feierlichkeit wäre es schön gewesen eine aussagekräftige Dokumentation über die Geschichte einer geschichtsträchtigen Stadt zu präsentieren.

So pilgern also die vietnamesischen und ausländischen Besucher wild im Garten umher und mehr als ein schön oder nicht schön als Bewertungskriterium ist nicht zu erwarten.

Ebenso ergeht es mir in einem Park, in dem gerade am Vortag eine neue Ho Chi Minh Statue einegeweiht wurde. Der Genosse steht weiterhin klassische auf einem hohen Sockel in großer Entfernung zum Volk, dabei war gerade doch Volksnähe seine Stärke. Gähnende Leere deshalb auch um den Genossen herum, man wühlt sich lieber auf den Straßen durch den täglich unerträglich werdenden Verkehr auf der Suche nach dem Sinn der 1000 Jahre Hanoi Feierlichkeiten.

159. Tag in Hanoi – 5.10.2010

Dienstag, den 5. Oktober 2010

1000 Jahre Hanoi – die längste Mosaikwand der Welt

Ungefähr sechs Kilometer ist sie lang, die längste Mosaikwand der Welt, „Porzellanstraße wird sie genannt und in einer mehrere Jahre dauernden Sisyphusarbeit wurden die zahlreichen Bilder zusammengesetzt. Entlang des roten Flusses donnert eine der Hauptstraßen der Stadt und für den vorbeifahrenden fliegen Bilder und Szenen aus der vietnamesischen Geschichte vorbei. Minoritäten, Arbeiter, Bauern, Soldaten, Lehrer und Kinder werden ebenfalls farben- und lebensfroh dargestellt, wie wichtige Denkmale und Sehenswürdigleiten der Stadt. Der Blick geht ebenso in die mythische Vergangenheit, wie in eine saubere, wunderschöne sozialistische Zukunft. Ein 810 Meter langes Stück des Mosaiks, das durch keinen Abzweig unterbrochen wird, geht nun auch ins Guinness Buch der Rekorde ein.

Für den näheren Betrachter ist die Besichtigung eher ein Horrortrip, der Gehweg an der Porzellanstraße ist manchmal keine zwei Meter breit, das heißt man kommt nur dazu einzelne Ausschnitte zu betrachten und kommt kaum dazu einen Überblick über das Kunstwerk zu bekommen. Man kann also nur erahnen, ob die Künstler weiter vorn oder hinten auf andere Abschnitte Bezug nehmen.Die Straße am roten Fluss ist eine der Hauptschlagadern der Stadt, auf den mindestens sechs Spuren rollt der dichte Verkehr 24 Stunden.Bei einem „Spaziergang“ am gesamten Kunstwerk vorbei bekommt man wahrscheinlich seine Lebensdosis an Blei und anderen Abgasen kostenlos dazu geliefert und auch das Fotografieren gestaltet sich schwierig. Zwar ist die linke Spur nur für Radfahrer vorgesehen, aber hier blasen die Mopeds gnadenlos entlang. Und gerade die Ränder der Straßen gehören den „jungen Wilden“, die ohne Helm und Rücksicht mit 50 Sachen am normalen Verkehr vorbeibrettern, so dass der versuch, ein Foto von der Straße zu machen recht gefährlich ist.

Auch hier wieder ein echtes tiefes „Schade“, denn ein nettes Kunstwerk wird hier praktisch entwertet. Für euch habe ich mich ein paar mutig Mal zwischen die Mopedflut geworfen, um ein paar schöne Eindrücke festzuhalten!

158. Tag in Hanoi – 4.10.2010

Montag, den 4. Oktober 2010

1000 Jahre – 25 Jahre deutsche Einheit

Botschaftseinladungen können ein Vergnügen sein oder auch nicht. Die Einladungen sind heiß umkämpft und so bekomme ich natürlich auch keine. Während andere Vereine hier alle verfügbaren Deutschen hinschicken, bleiben die Leute, die die Basisarbeit leisten zu Hause. Doch ein kleiner Gauner, der ich nun mal bin, will ich mir diese Festivität nicht entgehen lassen. Der Freund einer Freundin hat eine Bekannte, deren Freundin auch eine Einladung ergattern durfte. Und da man ausdrücklich mit „Spouse“ eingeladen wurde, biete ich mich an, diesen Dienst für einen Abend zu übernehmen. Dafür habe ich dann sogar noch ein schickes schwarzes hemd gekauft, 25 USD für ein schönes kragenloses Stück, zu dem man keine Jackett und keine Krawatte braucht und meinen jugendlichen Charme eingerechnet, trotzdem gut aussieht.

Vor der Residenz des Botschafters sind extra Wächter für die Mopeds abgestellt und ich soll gleich mein Fahrrad wieder wegräumen, am besten ganz weit weg, aber ich sage einfach „Nöööööö“, lasse mein Fahrradschloss einrasten und verschwinde Richtung Einlass. Wenn ich schon für uns alle die (Um)welt, rette, dann will ich auch nicht noch wegen meines abgasfreien Fortbewegungsmittels diskriminiert werden.

Viel deutsches Volk hat sich vor der Botschaft versammelt und wird eingelassen. Trotz des weltweiten Terrorismuswahnsinns gibt es absolut keine Sicherheitsvorkehrungen, ohne Vorzeigen irgendeines Dokumentes gelangt man in die heiligen Hallen der Residenz. Ich hoffe nur, dass nicht all zu viele Selbstmordattentäter meine Webseite lesen, sonst sind die Karten für den nächsten Empfang noch schwerer zu bekommen.

Um das große Schwimmbecken herum ist ein gigantische Buffet aufgebaut, aber bis das eröffnet wird werde natürlich noch Reden geschwungen, die des Botschafters steif und formal, die des vietnamesischen Vizepräsidenten langweilig, nur der hessische Ministerpräsident schafft es ein wenig Schwung und Eleganz zu formulieren.

Letztlich ist ja niemand hier wegen der Reden zum 2o Jahrestag der deutschen Einheit, oder wegen der deutsch-vietnamesischen Freundschaft, es geht entweder darum gesehen zu werden (Ich war da, also bin ich wichtig!) oder ums Buffet, das komplett mit einem Bläsertrio, sowie hessischem Rotwein, Weißwein und Sekt eingeflogen wurde.

Das Buffet ist recht einladened und erstaunlicherweise wird nach dem ersten Ansturm nachgelegt, so dass es keine Engpässe gibt. Ich freue mich über Leberkäse und Kartoffelpuffer und halte mich an den Sekt, ein nettes Wässerchen, erfrischend, nicht zu süß, hätte noch einen Spritzer fruchtiger sein können für einen öffentlichen Empfang, aber das ist nach dem dritten Glas egal.

Fotolaune habe ich nicht, denn das Licht ist nicht der Hit, aber ich liebe es die Menschen zu beobachten, die dynamischen Jungmenschen, die sich gegenseitig die Visitenkarten präsentieren, die sie heute eingesammelt haben. Die gelangweilten vietnmesischen „Blondinen“ in als Begleitung der VIPs, das Wichtig-Getratsche, wie man die Steuergelder nutzbringend unter die Leute bringen kann.

Nach dem fünften oder sechsten Glas Sekt, werden dann die Krawatten lockerer, die Köpfe angerötet und man hört breiteste Dialekte heraus, die mit Hochdeutsch nicht mehr viel zu tun haben.

Ein paar witzige Gespräche hatte ich auch, auch wenn ich, nicht einmal offiziell, die deutschen Deutschlehrer meines Institutes vertrete, aber was soll’s ich hab mich ordentlich amüsiert, der Kauf meines Hemdes hat sich komplett amortisiert und ich radle mit einem leichten Champagnerschwips nach Hause. Was will man mehr von einem Montagabend!