Archiv: 2011 Transeurasien

97. Tag: Donnerstag, der 21. Juli 2011

Donnerstag, den 21. Juli 2011

Ruhetag in Irkusk

Und heute nun unser erster richtiger Ruhetag in Irkutsk, wir haben einen Spaziergang durch die Stadt gemacht und viel geschlafen. Ich genieße natürlich jede Minute mit meiner Freundin.

96. Tag: Mittwoch, der 20. Juli 2011

Mittwoch, den 20. Juli 2011

Etappenziel erreicht!

80 Kilomter von Usolje Sibirskoe nach Irkutsk bei Regenwetter bis 21 Grad, schlechter Straße und Plattfuß, 193 Höhenmeter

Es hat in der Nacht schon gut geregnet und am Morgen schüttet es immer noch und leider, leider haben wir immerhin noch 80 Kilometer zu fahren. Der frühe Start wird nach 15 Kilometern wieder durch einen Plattfuß zunichte gemacht und bei Regen fährt es sich auch nicht so fluffig, auch, wenn es aufs Etappenziel zugeht.

Der Plattfuß ist relativ schnell geflickt, eine Glasscherbe hat sich durch den hinteren Mantel von Jackie gedrückt. Schöne große Pfützen, um das Loch zu suchen gibt es überall und der Regengott unterbricht auch den Regen für die Zeit der Reparatur.

Die Stadt grüßt noch einmal mit ein paar Hügeln, doch dann kurz nach Mittag stehen wir auf der Angara-Brücke und fahren über den Fluss. Oben stoppen wir und genießen den getrübten Blick auf die Stadt. Wir haben noch eine kleine Flasche Wodka und das ist heute der Anlass für einen 40%igen Tropfen: Die schwerste Etappe liegt hinter uns, gute 5000 Kilometer durch Sibirien, von Moskau nach Irkutsk, ohne Begleitfahrzeug mit eigenem Gepäck. Weite Strecken auf den Hauptstraßen und auch genug Kilometer auf asphaltfreien Nebenstrecken. Das Wetter war die große Überraschung, von Anfang an ziemlich kühle und nur wenig heiße Tage. Den Wind hatten wir meist von hinten, aber das ist ja auch der Grund, warum alle klugen Globetrotter von West nach Ost reisen, aber wir hatten auch eine Woche mit mehr als bissigem Gegenwind.


Sibirien ist landschaftlich grandios und umwerfend, die unendliche Weite ist kaum in Fotos festzuhalten, vor allem die Abwechslung in der Weite, die man vielleicht grob in hügelige Weite, öde Weite, steppige Weite, birkige Weite und gebirgige Weite unterteilen kann.

Viel bekommt man von den Menschen nicht mit, selbst wenn man auf dem Rad sitzt, mit den Autofahrern hat man nur Kurzkonversationen nach dem Wohin und Woher und für engere Kontakte ist die Gruppe mit fünf Leuten einfach zu groß, vor allem in Zeiten, wo niemand mehr Geld für Einladungen übrig hat und der einfache Mann zum Alkoholismus tendiert. Graue und trostlose Kleinstädte prägen das Bild, eigentlich möchte ich alle Bilder in schwarz-weiß halten, einen positiven Ausblick in eine sibirische Zukunft lässt sich kaum irgendwo oder irgendwie vorstellen.

..aber wir haben es geschafft und rollen Irkutsk ein, für 85 Euro pro Nacht bekommen wir ein Zimmer im „Angara“, 60er Jahre Standard mit durchgelegenen Matratzen, die Etagendame wundert sich, warum die Ausländer alle so unfreundlich sind. Ich erläutere es ihr kurz, dass man selbst in Städten wir Berlin oder Rom oder Moskau für den Preis ein ordentliches kleines Zimmer bekommt und dass im Gegenzug eine Stadt wie Irkutsk vielleicht nur ein oder zwei Prozent der Bewohner Deutschlands geläufig ist und die Zimmer hier einer Jugendherberge vor 30 Jahren gleichen. Jetzt kann auch sie verstehen, warum viele ausländische Gäste immer grimmig gucken.

Wir feiern noch bei einem Bier im Lokal nebenan. Ich freue mich dass ich meine Freundin endlich im Arm halten kann und nun ein paar ruhige tage vor uns liegen. Diese gibt es dann im Blog auch nur in der absoluten Kurzfassung, Ruhetag sind Ruhetage!

95. Tag: Donnerstag, der 19. Juli 2011

Dienstag, den 19. Juli 2011

Eine Nacht im Puff

68 km von Tscheremchowo nach Usolskoje Sibirskoe, 286 hm bei Sonnenschein bis 28 Grad, viel Verkehr

Der Morgen verspricht einen schönen Tag und es sind nur noch 160 Kilometer bis nach Irkutsk. Langsam lichten sich die Nebel und meine Gedanken sind schon in Irkutsk, meine Freundin ist gestern dort angekommen. Aber wir wollen erst morgen in die Stadt, also haben wir zwei angenehme Etappen vor uns. Das die Stadt näher rückt erkennt man auch daran, dass der Verkehr dichter wird. Mitunter rauschen wieder ganze Kolonnen an uns vorbei. Auch Radfahrer sehen wir wieder einmal, erst kommen uns zwei Pulks an Rennradlern entgegen und eine halbe Stunde später, als wir ein Päuschen machen rauschen sie in Richtung Irkutsk wieder an uns vorbei.

Nach 68 Kilometern in Usolskoje Sibirskoje kommen wir an einem Motel vorbei, die Gruppe will dort schon Schluss machen. Ich wäre ganz gerne noch weiter gefahrten, denn es bläst ein seichter Rückenwind und so könnten wir morgen wirklich nach einem 2 Stunden Ritt in der Stadt sein. Aber Gerhard und Barbara haben ein wenig Magengrummeln und so bleiben wir. Ich beschließe dann, den Nachmittag für einen intensive Fahrradwartung zu verwenden. Barabara und Gerhard halten einen erholsamen Nachmittagsschlaf und Mirjam und jacky assistieren mir bei der Wartung. Wir tauschen die Mäntel von vorn nach hinten und umgekehrt, so lassen sich noch mehr Kilometer aus dem Material herausholen. Bei guter Pflege lässt sich ein Mantel bis zu 15.000 Kilometern fahren, meine hintere Decke habe ich mit Klebeband am weiteren ausreißen gehindertt und fahre sie nun vorne, ohne irgendwelche Probleme. Natürlich werden mit jedem 1000 Kilometern auch mehr Plattfüße auftreten.

Auch die Ketten werden wieder einmal gewechselt. Bei den Rädern kommt jetzt wieder die erste Kette drauf, auch so lassen sich ein paar tausen Kilometer herausholen. Shimano empfiehlt eineLebensdauer von Kette und ritzelpaket von maximal 4000 km, mit etwas System und einer zweiten kette kann man auch daraus mehr als 15.000 km machen. Das hören aber die Fahrradfirmen und auch die Radhändler nicht gern! Zum Schluss wechsele ich noch ein paar Bremsbeläge, auch diese sind jetzt bis auf den letzten Zehntelmillimeter runtergefahren.

Das Essen im zugehörigen Lokal ist mehr als lausig, es gibt nur noch Reste von einem eh laschen Angebot, das kommt dann, wie üblich, in die Mikrowelle. Wir enden also bei bäckerlastigen Bouletten mit lausigem Kartoffelpüree, ich setze mich danach noch an den Computer und die anderen verschwinden schon im Bett; und jetzt wird es erst richtig interessant, denn vor dem hotel haben sich einige Damen in kurzen Röckchen und offenherzigem Oberteil postiert und auch einige ähnliche Damen scheinen direkt im Hotel zu „arbeiten“. Die männliche Kundschaft ist meit ziemlich übel aussehend und so alkoholisiert, dass es tendenziell für die Damen ein eher leichterer Job ist, die Herren auzunehmen. Trotz der angetrunkenen Kundschaft läuft das Tagresgeschäft eher ruhig ab und wir sind mit unseren drei Zimmern in einem Nebengebäude und somit auch etwas weg vom Schuss.

Seit den wenigen Prostituierten, denen wir in Litauen an den Straßen begegnet sind, ist es hier das erste mal, dass man vom bewegten Nachtleben etwas mitbekommt. In den meisten anderen Hotels in denen wir abgestiegen sind, mit den strengen Etagendamen, ist auch ein horizontal gewerblicher Betrieb schlecht durchzuführen gewesen.

94. Tag: Montag, der 18. Juli 2011

Montag, den 18. Juli 2011

Geldrausch

132 km von Sima nach Tscheremchowo, 752 hm in langen gemütlichen Anstiegen und Abfahrten, wolkig, dann etwas sonnig bis 25 Grad

Unser nächstes Etappenziel rückt mir großen Schritten näher, immer niedriger wurden in der letzten Woche die Angaben nach Irkutsk, vor knapp 2 Wochen hatten wir das erste Schild mit noch über 2000 Kilometern, dann haben wir in Krasnojarsk die 1000 Kilometer geknackt und sind gerade einmal noch schlaffe 300 übrig.

Wir verlassen unsere Hotelbaustelle wieder zeitig und radeln aus der kleinen Stadt Sima heraus. Von allen trostlosen Städten sieht diese am trostlosesten aus. Das „Zentrum“ bildeten einige Wohnsilos aus den 70er Jahren und auf der Straße, das heißt in den riesigen Löchern im Asphalt sammelt sich das Wasser des Regens von gestern und der Nacht. Viele der Pfützen haben dann schon das Format eines kleinen Sees. Dazu kommt dann noch dieses verrückte Einbahnstraßensystem, welches nicht zu durchschauen ist. Diesmal brauchen wir nicht über die Fußgängerbrücke, sondern fahren über die große Brücke außerhalb. Die Regenwolken fangen an sich zu verziehen und es sieht nach einem trockenen Tag aus.

Es wird wieder ein sehe sibirischer Tag, die Landschaft ist weit und faszinierend, aber nicht abwechslungsreich. Weite, lange Anstiege und schöne Abfahrten, viel Birke und ein wenig Kiefer, weite Landschaften und an der rechten Seite zieht aller zehn Minuten ein langer Güter- oder Personenzug dahin. Hinten, weit am Horizont ragen die Spitzen von großen Eimerkettenbaggern aus der Landschaft. Dort befinden sich große Kohletagebaue.

Man kann also schön vor sich hindösen beim Radeln, doch plötzlich blinkt es auf dem Asphalt. Oh, ein schönes Rubelchen! Ich halte an stecke das Geldstück ein und es blinkt schon wieder, 50 Kopeken und dann wieder, diesmal ein Zweirubelstück. Ich parke das Fahrrad ein und Mirjam und Barbara stoppen auch. Überall liegt hier Kleingeld verstreut. Also fangen wir an zu sammeln und es lohnt sich, auch wenn es meist nur kleine Münzen sind. Wieso liegt das Geld hier herum, denke ich beim Suchen nach. Vielleicht kam hier ein bankräuber vorbei, wurde von der Polizei verfolgt und durch die Einschusslöcher konnte leider nur das Kleingeld, aber nicht die Scheine herausfallen. Oder liegt hier vielleicht gar keine Steinkohle in der Erde, sondern es werden Rubel abgebaut und wir sind auf einen Rubelflöz gestoßen. Oder hat das russische Verkehrsministerium hier Geld als Kompensation ausgestreut für Radfahrer, die mit dem russischen Straßenzustand unzufrieden sind. Wie auch immer, wir sammeln weiter und stellen weiter abstruse Theorien auf und das tollste ist, es scheint an der gleichen Stelle, also so auf 50 Metern Strecke nicht weniger zu werden, sondern eher mehr.

Als Mirjam und ich uns beim Sammeln wieder einmal begegnen, inzwischen jeder schon die Tasche voller Kleingeld, klimpert es plötzlich, als ein Auto vorbeifährt. Wir sehen uns an und auf den Baum hinter uns, von diesem hängen bunte Tücher herab und aus dem nächsten Auto fliegen wieder Münzen heraus. Das ist also des Rätsels Lösung: Ein Glücksbaum oder so etwas in die Richtung. Wir steigen lachend wieder auf die Räder und treffen an der nächsten Raststätte wieder auf Jackie und Gerhard. Barbara mag der Geldquelle noch nicht den Rücken drehen und sammelt noch ein paar Minuten weiter. Die Ausbeute ist nicht schlecht, über 60 Rubel, das reicht für 2 Biere und ein Eis.

In Tscheremchowo bleiben wir dann in einem recht sowjetischen Hotel, die Zimmer sind einfach, die Etagentoilette eher ein Katastrophe, aber die einfache Dusche unten im Erdgeschoss funktioniert. Die Damen sind mehr als freundlich, haben aber etwas Mühe unser Pässe zu lesen und die Formulare auszufüllen. Wir helfen bereitwillig und erfinden die fehlenden Daten großzügig. Nebenan gibt es noch ein kleines Cafe mit Nudeln und Pizza.

93. Tag: Sonntag, der 17. Juli 2011

Sonntag, den 17. Juli 2011

Der frühe Vogel flickt den Reifen oder

Jacke an und Jacke wieder aus

142 km von Tulun nach Sima, 487 hm, früh Regen, Mittag Regen und abends auch wieder Regen bei bis 21 Grad

In der Nacht hat es wunderbar geregnet, das Blechdach vor dem Fenster hat den Klang noch einmal verstärkt und ich kann bei solcher Soundkulisse immer recht gut schlafen. Wir hatten wieder einmal beschlossen sehr zeitig aufzubrechen und am Abend noch Stullen geschmiert. Am Morgen klappt es auch recht gut, aber als wir die Räder aus dem vermüllten Garagencontainer holen, hat Barbaras Rad einen Platten. Dazu verlangt der „Ochanik“, also der Platzwärter, 250 Rubel für die Nachtwache an den Rädern. Ein Autostellplatz kostet nur 100, aber wir können uns mit unserer Ansicht nicht durchsetzen und einigen uns auf 200 Rubel.

Dann kommt die Reparatur an Barbaras Rad und die zieht sich in die Länge. Zwar finden wir die Ursache, einen winzigen Draht von einem der vielen zerschlissenen Autoreifen, die die Straßen säumen, aber der Flicken, zwar professionell aufgeklebt, will einfach nicht halten, vielleicht liegt es am Klebstoff, die offene Tube hat schon ein paar Kilometer und Klimazonen hinter sich. Mit dem neuen Kleber klappt es dann, aber eine knappe Stunde ist wieder futsch und es fängt auch noch an zu regen.

Der Regen ist das zentrale Element an diesem Tag, nachdem der Vormittagsregen aufgehört hat, sind wir gerade wieder trocken geworden und dann zieht die nächste Front heran. Also heißt es wieder Jacken an und wieder aus und wieder an, weil es ja zwischendrin auch mal kurz wieder aufhört. Allerdings ist es nicht unangenehm und die Temperaturen sind recht gemütlich bei 22 Grad, aber an jedem Hügel fängt man an zu schwitzen. Und von denen gibt es jede Menge.

Landschaftlich wird es noch einmal richtig grandios, jetzt wo es auf die letzten Kilometer nach Irkutsk zugeht, lange Hügel bringen uns immer wieder auf 600 Höhenmeter und dann geht es wieder lange Abfahrten hinunter und dann gleich wieder hoch. Grün und grüner ist die bestimmende Farbe, weite Wiesen und weiden, immer noch lila Punkte und manchmal wieder riesige lila Flächen. Ab und zu ein schönes Birkenwäldchen und ab und an auch Kiefern. An Ortschaften mangelt es weiterhin.

Am späten Nachmittag erreichen wir den Abzweig nach Sima, wieder einmal gibt es keine Raststätte mit Motel, aber in der Stadt soll es ein Hotel geben, also nichts wie rein in die Stadt, weil auch schon wieder dicke Wolken herannahen. Das Nest erscheint recht öde, zumal gibt es ein komisches Einbahnstraßensystem, welches wir konsequent ignorieren. Mit einiger Mühe lässt sich das „Hotel“ ausfindig machen im vierten Stock eines heruntergekommenen Plattenbaus. Dort riecht es kräftig nach „Mann“, eine Horde Jugendlicher springt dort mit freiem Oberkörper herum. Die Zimmer haben 50er Jahre Jugendherbergsstandard, die Betten sind mehr als durchhängende Spiralfedergestelle und es gibt weder ein Restaurant noch einen Laden in der Nähe. Aber es soll noch ein zweites Hotel in der Stadt geben, auf der „anderen Seite der Welt“. Das ist über die Transsib hinweg. Im Ort gibt es nur eine Fußgängerbrücke und wir müssen im inzwischen einsetzenden strömenden regen die schweren Räder nach oben hieven und auf der anderen Seite wieder herunter. nach 130 Kilometern noch einmal ein gutes Stück Arbeit. das Restaurant und Hotel „Peking“ macht von weitem dann auch keinen schlechten Eindruck, aber als die Tür verschlossen ist, klappen dann doch die Mundwinkel aller nach unten, so eine Pleite. Aber dann klappert es und ein Jugendlicher öffnet. Zwar wird gerade alles repariert, aber zwei Zimmer sind doch noch zu haben und die sind sogar recht ordentlich, wenn von der dominierenden Baustelle im Gebäude absieht. natürlich arbeitet das Restaurant auch nicht. In der Nähe gibt es auch noch einen anderen Laden, mit Garderobe und Potier und viel herum stehenden Personal. Zum Glück gibt es in der Küche wieder einen einsamen Chinesen, der aus den laschen Zutaten doch ein recht ansehnliches Mahl zaubern kann.