Dienstag, 18.3. noch ein Ruhetag in Ankara


Schön ist es auch den zweiten Tag nicht aufs Rad zu müssen, eigentlich wollte ich auch vor dem Frühstück das morgendliche Yoga aus Gründen persönlicher Faulheit ausfallen lassen, aber mein Yoga Fanclub war nicht einverstanden, ja, ja, „die Geister die ich rief…….“.

Punkt 9 Uhr sitzen wir im Bus und brauchen uns nicht mit dem Fahrrad durch den 5 Millionen Einwohner Moloch Ankara durch dichtesten Verkehr, Gehupe und Abgase zu quälen, sondern überlassen es Kassims Fahrkünsten, sich im Gewirr der Straßen und Gassen zurecht zu finden. Zuerst geht’s auf die Zitadelle. Etwas fröstelnd ersteigen wir das alte Gemäuer, das aus noch älterem Gemäuer recycelt wurde. Römische Säulen zu Torbalken, oder in Scheiben geschnitten als Mauerwerk finden sich überall, wie auch Teile von Inschriften, die nun wahllos im Gemäuer verteilt und manchmal sogar Kopf stehend verbaut wurden. Von oben einen etwas wettergetrübten aber doch beeindruckenden Blick über die Stadt. Besonders beeindruckend ist die Altstadt, ein Meer von roten Ziegeln, mit kleinsten Gässchen, die sich scheinbar ohne jedes System hindurch winden. Ein Horror für jeden Stadtplanzeichner, und ich möchte wetten, dass es für diesen Teil der Stadt keinen vernünftigen Plan gibt. Wie auch immer, viele Häuser sind dem Verfall nahe und von weitem kommen die Bagger und reißen Wunden ins Häusermeer, die dann mit Betonklötzen gefüllt werden. Die Türken haben eine Vorliebe für abartige Pastellfarben, und so steht neben einem zehnstöckigen Albtraum in Rosa einer der gleichen Baureihe in hellgrün oder blau. So viel taktlose Vielfarbigkeit haben ja nicht einmal die Architekten der sozialistischen Zweckbauten in der ehemaligen DDR aufgebracht, an die mich diese Siedlungen ein wenig erinnern.

Vor der Zitadelle ein großer Markt für Gewürze, Nüsse und Trockenfrüchte, Hubert und Rene decken sich mit einem Vorrat ein, mit dem fünf Eichhörnchengroßfamilien über den Winter kommen könnten. Die anderen begnügen sich mit einem Blick auf die würzig-nussig-fruchtige Farbenpracht, nicht einmal die Hälfte der hier dargebotenen Ware kann ich mit dem Namen bestimmen. Unter einem herannahenden und dann heftiger werdenden Regenguss flüchten wir ins Museum für anatolische Geschichte. Ein älterer Türke mit einem Deutschvokabular aus den 50er Jahren erklärt uns die Einzigartigkeit der einzelnen Stücke:

“Bitte, meine Damen und Herren, schauen sie hier der erste Rasierapparat der Welt, und bitte schauen sie dort, die Damen, ein Spiegel aus der Steinzeit für die Damen und bitte, die Damen und Herren folgen Sie mir hierher, bitte, ein Brief in Stein gehauen und verpackt, bitteschön……..“ Einiges ist wirklich sehr interessant, wie die hethitischen Skulpturen und die Fresken zum Gilgamesch Epos im Innenraum.

Als wir das Museum verlassen, hat der Regen nachgelassen und wir fahren zur größten Moschee Ankaras Kocatepe Camii, die vielleicht sogar die größte moderne Moschee der Welt ist. Da der Muezzin gerade zum Mittagsgebet gerufen hat, laufen jede Menge Menschen zum Beten zusammen, doch die Moschee ist nicht einmal zu einem Sechstel gefüllt. Wir haben Glück und dürfen die Moschee während des Gebetes betreten und können den gesungenen Koranversen aus nächster Nähe zuhören.

Mittag gibt’s in einem typischen Ankara-Restaurant, eine tomatige Suppe und Salat eröffnen den Schmaus, eine Kebabversion im Tontopf ist der Hauptgang, dazu gibt es gefüllte Weinblätter und zum Nachtisch eine Spezialität des Hauses, Bakklava, ein mit Honig getränkter Blätterteig in 79 Schichten; ich komme beim Nachzählen nur bis 14, die übrigen sind so mit Honig verklebt, dass ein Nachprüfen der patentierten Schichtenzahl nicht möglich ist.

Der nächste Programmpunkt ist das Innenministerium, in das wir eine Abordnung von sieben Radlern schicken. Empfangen werden wir von Herrn Halil Dumanli, aus dem Innenministerium, verantwortlich für Sport und Sicherheit, in einem großen sauberen Büro. Ein Vertreter von der deutschen Botschaft, Herr Özcan Bulgen aus der Wirtschaftsabteilung (auf dem Foto rechts), hat sich auch eingestellt und wir haben nun Gelegenheit uns für die Hilfe und Unterstützung, die wir durch die türkische Polizei bekommen haben, zu bedanken und tun dies auch. Als Geschenk haben wir noch eine große Packung vom 79 Schichten – Bakklava mitgebracht, das nun verteilt wird. Dabei haben wir Gelegenheit ein türkisches Bonmot kennen zu lernen, man soll Süßes essen und Süßes reden (und natürlich süßen Tee trinken) und so tauschen wir noch eine gute Reihe netter Höflichkeiten aus, informieren über unsere Tour und laden türkische Radler ein, in vier Jahren mit uns die Tour eventuell von Peking nach London zu radeln. Dann halten wir uns an eine weitere Regel der türkischen Gastfreundschaft, dass kurze Besuche die besten Besuche sind.

Zurück geht es im Eiltempo durch die halbe Stadt zum Atatürk Mausoleum und Museum, dem Anit Kabir. Auf einem Hügel thront der pompöse Bau im stalinistisch-römischen Stil. In einer gigantischen Halle ist der Leichnam des Kemal Atatürk in einem Sarg aus rotem Marmor aufgebahrt. Vor dem Museum halten in Glaskästen Soldaten Wache, nicht eine Miene verziehend ignorieren sie die Versuche der Passanten, diese Soldaten vielleicht doch zu einer Bewegung zu verleiten. Als der Regen einsetzt, erweist sich der Glaskasten mehr als nützlich für die Wächtersoldaten, um vor den peitschenden Gewitterböen Schutz zu spenden. Wir flüchten ins Museum, das sich in den Seitenflügeln des Monuments befindet. Kemal Atatürk, der Begründer der modernen Türkei wird bis heute, 70 Jahre nach seinem Ableben noch überall in der Türkei verehrt, hat er es doch mit seinen tief greifenden Reformen geschafft, dass die Türkei der einzige moslemische Staat ist, der am Anfang des 20. Jahrhunderts den Anschluss an den Westen gesucht und gefunden hat. Und so verwundert nicht, dass das Museum geprägt ist von Fotografien, Büsten, Bildern, Orden, Gewehren, Säbeln, Uniformteilen, die Atatürk irgendwann einmal in seinem Leben in den Händen oder am Leibe hatte; doch nicht nur hier ein großer Personenkult, im Moment ist ganz Ankara und das ganze Land beflaggt, wegen des Jahrestages des türkischen Sieges auf den Dardanellen, zu dem die Entscheidungen des damaligen Offiziers Kemal Atatürk nicht unwesentlich beitrugen. Für meinen Geschmack etwas zu viel Personenkult und Kriegsverherrlichung und unwillkürlich muss ich an Vietnam und den Ho Chi Minh Kult denken.

Während über halb Ankara noch der Gewittersturm tobt, scheint auf der anderen Seite die Sonne und dazwischen spannt sich ein leuchtender Regenbogen über die Stadt.

Im Bus geht es durch den chaotischen Verkehr wieder zurück ins Hotel, wo ich bis zum Abendbrot meine gewaschene Wäsche wieder im Koffer verstaue und das Gepäck für den morgigen Autobahnfahrtag vorbereite.

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